Nach zwei Tagen Regen folgt Montag
in der modernen Welt wiederholen, kämen die Folgen denen eines weltweiten Atomkriegs gleich.
Im frühen Mittelalter erholte sich die Witterung etwas, doch die Klimakrise setzte sich fort. Die Einwohnerzahl Europas sank »auf einen nie wieder erreichten Tiefstand«, berichtet der Historiker Wolfgang Behringer von der Universität Saarbrücken. Archäologen fanden in Mitteleuropa zahlreiche aufgegebene Siedlungen; Pollenanalysen belegen einen deutlichen Rückgang der Landwirtschaft, die Wälder drangen vor. Es waren frostige Zeiten, wie die neuen Klimadaten zeigen. Die Folgen waren schrecklich: Im Hungerjahr 784 soll ein Drittel der Bevölkerung Europas umgekommen sein. »Es war ein eher kühler Sommer«, lautet Büntgens nüchterne Diagnose. »Mit der Klimaverschlechterung gingen in Europa nicht nur die Ernten zurück, auch das Vieh verkümmerte«, sagt Berninger. Jede Missernte löste eine Hungersnot aus. Zur Kälte kam im 9. Jahrhundert dann die Feuchte: Andauernder Regen bot Nährboden für Seuchen, Lepra breitete sich aus. Die Zeit der Wölfe war angebrochen. Hunger hatte sie nach Mitteleuropa getrieben, denn auch in ihrer Heimat Russland hatte sich das Klima dramatisch verschlechtert. Gierig schlichen die Tiere um die Dörfer. »Der Kampf gegen die reißenden Bestien wurde mit aller Gewalt geführt, mit Fallen, Giftködern und Treibjagden«, erläutert Behringer. Karl der Große ordnete die Anstellung von Wolfsjägern in allen Grafschaften an. Doch immer wieder kam es zu Übergriffen: Im Hungerjahr 843 platzte ein Wolf im Städtchen Sénonais im heutigen Frankreich in die sonntägliche Messe. Klimaforscher Büntgen bestätigt die Kälte jenes Jahres: »843 war kühler als die Jahre davor und danach.«
Mitte des 10. Jahrhunderts jedoch wendete sich das Klima zum Guten, das »Mittelalterliche Klimaoptimum« brach an. Die neuen Daten zeigen, dass die Temperaturen in Europa in etwa so hoch kletterten wie später erst wieder im 20. Jahrhundert. Die Baumgrenze in den Alpen lag mancherorts sogar höher als heute, und Wein wurde weiter nördlich angebaut als zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Zeit der Entdecker begann: Die Wikinger fuhren über Grönland bis Amerika. Die Landwirtschaft erholte sich, Hungersnöte wurden seltener. In 150 Jahren wuchs Europas Bevölkerung um ein Drittel. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation erlebte unter den Stauferkaisern seine Blüte. Friedrich II. residierte in Sizilien, an seinem Hof trafen sich Philosophen, Wissenschaftler und Künstler – es durfte freier gedacht und gesprochen werden. Auch aus Arabien kamen vermehrt Gelehrte, sie hatten wertvolle Erkenntnisse aus der Antike bewahrt und weiterentwickelt. Die Architektur änderte sich ebenso: Gotische Kathedralen mit großen Fenstern ließen das Sonnenlicht hinein.
Manche historischen Angaben jedoch gehören den neuen Daten zufolge auf den Prüfstand. In einem Bericht aus Nürnberg etwa klagte ein Bürger im Jahr 1022, dass Menschen »auf Straßen vor großer Hitze verschmachten und ersticken«. Historiker wissen zwar um die Neigung zur apokalyptischen Übertreibung in dieser Zeit. Indes: »Der Sommer 1022 war nicht besonders warm«, sagt Klimaforscher Büntgen. Möglicherweise war die Hitzewelle des Jahres so kurz, dass sie sich nicht im Wachstum der analysierten Jahresringe niederschlug – oder die Erzählung von der großen Hitze jenes Jahres ist eine Legende. Andere Ereignisse jedoch werden durch die neue Studie untermauert. 1135 zum Beispiel fiel auffällig wenig Regen. Damit bestätigen die Daten historische Berichte, wonach die Donau in jenem Jahr fast trockengefallen ist. Die Regensburger nutzten das Niedrigwasser für den Bau der Steinernen Brücke, des noch heute bedeutenden Wahrzeichens der Stadt. Ansonsten genossen die Menschen des 12. Jahrhunderts das milde Wetter: Bei Hofe lauschten sie in lauen Sommernächten den Minnesängern.
Doch unerbittlich wendete sich das Klima abermals: In der Nacht vom 8. auf den 9. September 1302 erfroren die Weinstöcke im Elsass. Und nach einem strengen Winter und Frühjahr standen in Deutschland die Bauern am 2. Mai 1303 vor ihrem erfrorenen Saatgut. Noch ahnten sie nicht, wie hart die Zeiten werden sollten. Die Klimadaten aus den Baumstämmen sind das nüchterne Abbild einer gigantischen Katastrophe, die nun über Europa hereinbrach. Sie zeigen im 14. Jahrhundert viele kalte Sommer, schwere Regenfälle und harte Winter. Hinter den Zahlen verbergen sich grausame Ereignisse:
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