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Nachkriegskinder

Nachkriegskinder

Titel: Nachkriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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Schriftzüge, von Blumen umrankte Segenswünsche und kleine, sorgfältig ausgemalte Szenen, die das Familienglück beschworen. Manche hatten gedichtet: »Sabinchen ist nun auf der Welt, was uns allen sehr gefällt …« Es war eine liebevolle Begrüßung, die sich noch einige Jahre fortsetzte, weshalb sie mir in Erinnerung blieb.

Die Freiheit einer unbeaufsichtigten Kindheit
    Wir wohnten in einer ländlichen Umgebung. Autos gab es nicht. Als kleines Kind durfte ich herumlaufen, wo ich wollte, auch ohne Aufsicht. Während meine älteren Geschwister in der Schule waren, ging ich auf Entdeckungsreise. Alle Erwachsenen, die mir auf meinen Wegen begegneten, blieben kurz stehen. Mein Auftauchen munterte sie sichtlich auf, denn sie sagten, wie schön es sei, mich zu sehen. Oft ging jemand in die Knie, sprach ein paar Sätze mit mir und steckte mir etwas Süßes zu.
    Bei meinen Eltern war von Zuneigung dieser Art wenig zu spüren. Verständlicherweise waren sie alles andere als begeistert von der Ankunft eines vierten Kindes zu einem Zeitpunkt, als Deutschland am Boden lag und keiner wusste, ob es jemals wieder aufstehen würde, ob und wann der Vater Arbeit finden würde. Wie alle Eltern dieser Zeit brauchten sie ihre ganze Kraft für den Überlebenskampf. Außerdem waren sie der Meinung, ein Kind zu verwöhnen sei ein kapitaler Erziehungsfehler, sie waren Anhänger der Johanna Haarer, deren Bücher in der NS-Zeit Müttern nahegelegt hatten, ihre Kleinkinder wie Äffchen zu dressieren. Umso schöner für mich, dass es außerhalb unserer Wohnung nicht nur eine unbeaufsichtigte Kindheit gab, sondern auch Begegnungen |17| mit Erwachsenen, die sich unverhohlen freuten, wenn sie mich sahen. Aus beidem entwickelte sich, was ich später als Journalistin gut brauchen konnte: zum einen die Neugier, Unbekanntes zu erforschen, und zum anderen das Gefühl, in einer mir fremden Umgebung grundsätzlich willkommen zu sein.
    In den fünfziger Jahren war die Welt noch nicht in Ordnung. Auf ganz Europa lasteten die Folgen eines verheerenden Kriegs, und die Deutschen in West und Ost bemühten sich, möglichst wenig an den Holocaust zu denken. Noch 1970 empfand fast die Hälfte der Westdeutschen Willy Brandts Kniefall am Mahnmal für die Opfer des Warschauer Ghettos als »übertrieben«, wie eine Umfrage ergab.
    Ende der fünfziger Jahre begannen sich die Verhältnisse zu stabilisieren. Auch meinen Eltern war es gelungen, ihr Leben wieder in normale Bahnen zu lenken. Die Männer trugen noch Hüte, sie sahen eleganter aus als die Väter heute. Aber die Hüte schienen ihnen auch etwas Unnahbares zu geben, im Unterschied zu den kumpelhaften Vätern heute mit ihren Baseballkappen. Arbeitseifer und Wirtschaftswunder machten Dinge möglich, von denen man wenige Jahre zuvor nur geträumt hatte. Als immer mehr Nachbarn ein Auto besaßen, als Urlaubskarten vom Mittelmeer eintrafen, als die ersten italienischen Eisdielen öffneten und Elvis Presley als GI nach Deutschland kam, da war klar: Man hatte das Schlimmste hinter sich.

Brüder von Heinz Erhardt
    Die Erwachsenen wurden etwas gelassener, auch fröhlicher und vor allem dicker. Viele gertenschlanke Männer legten sich innerhalb eines halben Jahres einen Bauch zu. Die Auswirkungen der Fresswelle lassen sich gut an den frühen Karnevalssitzungen »Mainz wie es singt und lacht« studieren, die als Kult gelten, weshalb das Fernsehen sie gern wiederholt. Da sieht man im Publikum |18| recht junge, gut genährte Bürgersleute mit Doppelkinn – sie alle Brüder von Heinz Erhardt –, neben ihnen schunkelnde Damen, die ihre unbekleideten Speckärmchen links und rechts eingehakt haben. Als die Frauen pummelig wurden, hörte man sie immer häufiger kichern wie junge Mädchen. So lange hatten sie auf Luxus verzichten müssen, auch das war nun vorbei. Man konnte wieder ausgehen, man konnte sich etwas gönnen, eine Reise nach Paris zum Beispiel. Nur an ihren Normen und Einstellungen hatten die Erwachsenen nichts geändert. »Das tut man nicht!« war der Satz, den Kinder am häufigsten hörten. Warum man das nicht tat oder nicht tun sollte, wurde nicht erklärt.
     
    An den Schulen der Bundesrepublik unterrichteten überwiegend ältere Lehrerinnen und Lehrer, streng und latent gereizt, mit Strafen waren sie schnell bei der Hand. In meiner Volksschule verbreitete eine Lehrerin mit dem Namen Lang nichts anderes als Furcht und Schrecken. Hinter ihrem Rücken sangen wir: »Die Lang, die Lang, die macht die Kinder

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