Nachkriegskinder
|11| Vorwort und Dank
Seit meinem Buch »Die vergessene Generation« ein weiteres über »Kriegsenkel« folgte, wurde ich immer wieder auf Lesungen oder in Mails gefragt: »Ich bin weder Kriegskind noch Kriegsenkel, sondern Nachkriegskind. Haben Sie vor, sich auch mit meinen Jahrgängen zu befassen?« Meine Antwort darauf ist dieses Buch. An seinem Zustandekommen haben viele Menschen maßgeblich mitgewirkt, vor allem jene Nachkriegskinder, die darin zahlreich zu Wort kommen. Für ihre Offenheit bin ich ihnen sehr dankbar, vor allem auch für ihre Bereitschaft, die oft belastende Beziehung zum Kriegsvater vor dem Hintergrund der eigenen Lebenserfahrung und des Älterwerdens mit mir zu reflektieren. Fast alle biografischen Geschichten wurden anonymisiert und die geänderten Namen mit einem * gekennzeichnet. Mein Dank gilt auch den zwei ehemaligen Wehrmachtangehörigen sowie einigen Experten, die mir halfen, eine Reihe von wichtigen Fragen zu klären. Unsere Gespräche werden in diesem Buch in der Form des Interviews wiedergegeben.
Meinem Lektor Heinz Beyer danke ich sehr für seine Rückenstärkung, seine kluge Beratung und grundsätzlich für seinen Einsatz, einem schwierigen Thema Raum zu geben. Meinen besonderen Dank möchte ich dem Verlag Klett-Cotta sagen und dort allen jenen Mitarbeitenden, die nun schon seit vielen Jahren meine Buchprojekte unterstützen. Meinem Mann Georg Bode verdanke ich viele Anregungen. Manchmal lief ich Gefahr, mich in der Fülle des Stoffs mit seinen unzähligen Facetten zu verlieren, doch der Austausch mit ihm und vor allem sein Widerspruch halfen mir, in diesem komplexen Themenfeld meinen Standort wiederzufinden.
|12| Dieses Buch ist dem Andenken an Uschi B. (1946–1997) gewidmet, meiner Freundin seit den Kindertagen. Bis zu ihrem Tod haben wir oft gemeinsam über unsere Kriegsväter nachgedacht. Als Jugendliche zum Beispiel fragten wir uns, was von dem so oft gehörten Satz zu halten sei: »Was Adolf gemacht hat, war nicht alles schlecht, er hätte nur eher aufhören müssen …«
Der kollektive Nebel, der über der NS-Vergangenheit lag, hat lange Zeit unsere Wahrnehmung irritiert und uns in unserem Lebensgefühl verunsichert. Während meiner Arbeit an diesem Buch kam es immer wieder vor, dass ich unsere Gespräche in Gedanken fortsetzte.
Köln, im Juli 2011
Sabine Bode
|13| Erstes Kapitel
Der Krieg war aus und überall
|15| Die kleinen Hoffnungsträger
Als Kind sammelt man Wörter, jeden Tag kommen neue hinzu, und man lernt die wichtigen von den weniger wichtigen zu unterscheiden. »Krieg« gehörte zu meinem frühen Wortschatz. Als Dreijährige wurde ich mehrmals am Tag ermahnt: »Pst, Nachrichten! Krieg!« Die Erwachsenen wollten Radio hören. Etwas Unheimliches ballte sich in unserer Küche zusammen: Korea im Sommer 1950. Der Zweite Weltkrieg lag gerade fünf Jahre zurück, als die Angst vor einem Dritten Weltkrieg aufstieg.
In dieser Zeit konnte ich manchmal vor Angst nicht einschlafen. Da war ein Geräusch, von dem ich nicht wusste, was es war, dumpf, rhythmisch und sehr bedrohlich – ich nannte es »Krieg«. Erst viel später begriff ich, dass es die Bässe der Musik waren, die aus der Wohnung unter uns zu mir drangen. – Der Krieg war aus und überall.
Ich wurde 1947 geboren. Damit war ich etwas Besonderes. Es gab nur wenige Kinder in meinem Alter. Wie viele Säuglinge in den ersten Jahren nach Kriegsende an Epidemien starben, ist unbekannt; entsprechende Statistiken wurden nicht geführt. Keine Frage, wir waren die Hoffnungsträger des zerstörten Deutschland, das Licht am Ende des Tunnels. Das sagt sich so leicht dahin, aber in meinem Fall kann ich es beweisen. Meine Mutter hinterließ mir eine Mappe mit Glückwünschen zu meiner Geburt. Ich habe sie mir im Laufe meines Lebens öfter angesehen, und je älter ich werde, umso mehr berühren sie mich. Als ich geboren wurde, gab es kaum vorgedruckte Karten zu kaufen, man musste improvisieren. Dünne Bleistiftränder verraten, dass das Papier ursprünglich anders genutzt wurde. Viele gute Wünsche sind auf schwarzem Fotokarton zu lesen, oder auf braunem, gebrauchtem Packpapier, das gewendet wurde – wie der abgetragene Mantel |16| vom Vater, aus dem ich eine dicke Winterjacke geschneidert bekam. Aus jedem Brief, aus jeder Karte spricht große Freude, fast so, als wäre mit mir noch einmal das Christkind auf die Welt gekommen. Die meisten Gratulanten hatten sich die Zeit genommen, etwas zu zeichnen: dekorative
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