Nachricht von dir
ersten Blick scheint nichts wirklich Kompromittierendes gespeichert zu sein, doch Sie wissen, dass der Schein oft trügt.
Schon bereuen Sie, bestimmte Fotos, E -Mails und Nachrichten gespeichert zu haben. Die Vergangenheit, die Familie, Geld und auch Sex … Würde Ihnen jemand schaden und den Inhalt genau unter die Lupe nehmen wollen, könnte er Ihr Leben zerstören. Sie bereuen so manches, aber das hilft jetzt auch nichts mehr.
Sie frösteln und erheben sich, um das Fenster zu schließen. Die Stirn an die Scheibe gedrückt, betrachten Sie die wenigen Lichter, die noch in der Nacht leuchten, und sagen sich, dass am anderen Ende der Stadt vielleicht ein Mann interessiert auf den Bildschirm Ihres Smartphones starrt und es dann genussvoll durchforstet, um die dunklen Zonen Ihres Privatlebens und Ihre dirty little secrets zu erkunden.
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Erster Teil
Katz und Maus
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Kapitel 1
Der Austausch
Es gibt Menschen, deren Bestimmung es ist, einander zu begegnen. Wo sie auch sind. Wohin sie auch gehen. Eines Tages treffen sie sich.
Claudie Gallay,
Seule Venise
New York
Flughafen JFK
Eine Woche vor Weihnachten
SIE
»Und dann?«
»Dann hat Raphael mir einen Diamantring von Tiffany geschenkt und mich gefragt, ob ich seine Frau werden will.«
Das Smartphone ans Ohr gepresst, lief Madeline vor der großen Fensterfront, die auf die Startbahn hinausging, auf und ab. Fünftausend Kilometer entfernt saß ihre beste Freundin in ihrer kleinen Wohnung im nördlichen Teil Londons und lauschte gespannt der detaillierten Schilderung ihres romantischen Ausflugs nach Big Apple.
»Da hat er ja wirklich alle Register gezogen«, stellte Juliane fest. »Wochenende in Manhattan, Zimmer im Waldorf Astoria, Kutschfahrt, altmodischer Heiratsantrag …«
»Ja«, meinte Madeline, »alles perfekt, wie im Film.«
»Vielleicht etwas zu perfekt, oder?«, stichelte Juliane.
»Kannst du mir erklären, wie es ›zu perfekt‹ sein kann, Miss Neunmalklug?«
Leicht irritiert versuchte Juliane, sich herauszureden.
»Ich meine nur, es hat vielleicht an Überraschungen gefehlt. New York, Tiffany, Spaziergang im Schnee und Eisbahn im Central Park … das ist etwas banal oder klischeehaft!«
Verschmitzt ging Madeline zum Gegenangriff über.
»Wenn ich mich recht entsinne, hat Wayne dir nach einem Saufabend im Pub einen Heiratsantrag gemacht. Er war voll wie eine Strandhaubitze und ist direkt, nachdem er um deine Hand angehalten hatte, auf die Toilette gerannt, um sich zu übergeben, oder nicht?«
»Okay, eins zu null für dich.« Juliane kapitulierte.
Madeline lächelte und näherte sich dem Eincheckbereich, um Raphael in der dichten Menge der Reisenden zu suchen. Zu Beginn der Weihnachtsferien drängten sich Tausende am Flughafen, wo es zuging wie in einem Bienenstock. Einige Leute wollten ihre Familie besuchen, andere strebten paradiesischen Zielen am anderen Ende der Welt zu, weit entfernt vom grauen New Yorker Alltag.
»Ach, übrigens«, fuhr Juliane fort, »du hast mir nicht gesagt, was deine Antwort war.«
»Soll das ein Witz sein? Ich habe natürlich Ja gesagt!«
»Hast du ihn nicht ein wenig hingehalten?«
»Hingehalten? Jul, ich bin fast vierunddreißig! Glaubst du nicht, dass ich lange genug gewartet habe? Ich liebe Raphael, ich bin seit zwei Jahren mit ihm zusammen, und wir wünschen uns ein Kind. In ein paar Wochen ziehen wir in das Haus, das wir gemeinsam ausgesucht haben. Juliane, zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich beschützt und glücklich.«
»Das sagst du jetzt, weil er neben dir steht, oder?«
»Nein«, rief Madeline lachend, »er gibt gerade unser Gepäck auf. Und ich sage das, weil ich es so empfinde.«
Sie blieb an einem Zeitungskiosk stehen. Wenn man alle Schlagzeilen der verschiedenen Blätter zusammennahm, entstand das Bild einer abdriftenden Welt, die ihre Zukunft schwer belastet hatte: Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, politische Skandale, gesellschaftliche Entrüstung, ökologische Katastrophen …
»Hast du keine Angst, dass dein Leben mit Raphael zu vorhersehbar ist?«, gab Juliane zu bedenken.
»Das ist nichts Schlimmes«, entgegnete Madeline. »Ich brauche jemanden, der solide, zuverlässig und treu ist. Alles um uns herum ist unsicher, prekär und verändert sich ständig. So etwas will ich in meiner Beziehung nicht haben. Ich will sicher sein, dass ich, wenn ich abends nach Hause komme, Ruhe und Frieden habe. Verstehst du das?«
»Hmm …«, machte Juliane
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