Keine wie sie (keine wie ...) (German Edition)
1.
Tina
hatte tatsächlich geglaubt, nach ihrem glorreichen Weggang aus Gilman, ihrer Heimat, würde sich endlich alles ändern.
Was für ein Reinfall!
Noch immer war ihr der Montag verhasst, bedeutete er doch, dass fünf grausame Wochentage vor ihr lagen. Mehr und mehr würgte sie allerdings zusätzlich am Dienstag, der Mittwoch brachte auch keine Verbesserung. Donnerstags hätte Tina am liebsten durchgeschlafen und der Freitag, nun
der
stellte die Krönung des Desasters namens Woche dar. An diesem Tag musste sie neben den Vorlesungen nämlich auch noch
arbeiten
.
Okay, eine Veränderung ließ sich schon verzeichnen: In Gilman bediente sie in einem Café, während die frischgebackene Studentin jetzt endlose vier Stunden in einem Supermarkt schuften durfte. Und das
nur
, weil ihr Dad verlangte, dass sie wenigstens einen Teil des benötigten Geldes selbst aufbrachte. Um ihr
Selbstbewusstsein
zu steigern
!
Blind tastete Tina nach ihrer Brille. Einige peinliche Fehlversuche später, senkte sie das schwere Gestell auf ihre Nase, schlurfte eher missmutig ins Bad und stellte sich dem ersten Grauen des Tages:
Ihr Spiegelbild.
Grandios! Die Augen waren aufgrund Tinas derzeitigen Freundes, dem Schnupfen, verklebt und die Wangen widerlich aufgeschwemmt. Weshalb morgens ganz besonders deutlich wurde, dass sich an ihrem Körper eindeutig ein paar Kilo zu viel heimisch fühlten.
Seufzend matschte sie Zahnpasta auf die Zahnbürste und wienerte kurz darauf lustlos ihre Kauwerkzeuge. Nach dem nächsten Blick in den Spiegel, der auch nichts anderes offenbarte, als die grausame Realität, betrachtete sie lieber das Waschbecken.
Dessen Anblick wirkte motivierender.
* * *
Eine
halbe Stunde später trat das Mädchen mit einem Bagel und seinem Rucksack bewaffnet aus der Tür. Zunächst vergewisserte es sich, dass die Straße frei von störenden Elementen war.
Als
störend
galten hierbei alle Personen ihres Alters, plus fünfzehn. Ganz besonders die Männlichen.
Vorsichtshalber
zog sie die Kapuze ihres Parkas etwas tiefer ins Gesicht, senkte den Blick zu Boden – ihre bevorzugte Haltung in der Öffentlichkeit – und begab sich auf den Weg zur Bushaltestelle.
Genau genommen wäre ein späterer Bus ausreichend gewesen, die erste Vorlesung begann erst um neun Uhr. Doch Tina hatte schnell gelernt, dass nach diesem etliche Studenten zu den Fahrgästen gehörten, manchmal sogar ihre direkten Kommilitonen. Und allein für deren Blicke wäre sie gern zur Mörderin geworden. Von den dämlichen Sprüchen ganz zu schweigen.
Eilig setzte sie sich auf einen freien Platz und nagte gedankenverloren an ihrem Bagel.
Das Leben war wirklich verflucht kompliziert.
Geh mal auf die Highschool, wenn du eine Hornbrille trägst, hässlich und fett bist.
Das wünschte sie ihrem ärgsten Feind nicht. Entweder, man kassierte eine dämliche Bemerkung nach der nächsten oder wurde überhaupt nicht beachtet.
Steh mal jahrelang in der Pause auf dem Schulhof und unterhalte dich mangels Alternative mit den Bäumen.
Auch eine Erfahrung, die sie gern nie gemacht hätte.
Ihre Eltern, Vera und George Hunt, waren um sie von jeher äußerst besorgt gewesen. Besonders ihre Mom drohte unentwegt, sich vor lauter Mutterliebe umzubringen. Und da deren Tochter bei der Geburt ein wenig klein geriet, fiel die Sorge in doppelter Intensität aus. Ständig wurde das Mädchen zu irgendwelchen Ärzten geschleift, ob nun erforderlich, oder nicht.
Weder litt Tina an einer ernsthaften Erkrankung, noch konnte man sie als wirklich fett bezeichnen. Eher erfüllte sie alle Voraussetzungen, um als pummelig durchzugehen. In Kombination mit der Brille auf ihrer Nase und den guten Zensuren genügte das, um die Aussätzige zu geben. Gesellte sich dann noch eine etwas zu begeisterte Mutter hinzu, war die Katastrophe perfekt.
Mister Hunt hielt sich aus allem heraus. Doch mit den Jahren wurde sein Blick immer bekümmerter. In einem Akt der Verzweiflung entschied er am Ende, Tina nach Ithaka zu entsenden. Womit sie nicht, wie von Mrs. Hunt gewünscht, im nahen New London studierte.
Egal, wie lautstark die mütterlichen Proteste ausfielen, an seiner Entscheidung änderte das nichts.
Und so wurde Christina Hunt vor etwas mehr als einer Woche von einem grimmigen Vater und einer verheulten Mutter in jene Universitätsstadt kutschiert. Sie genoss sogar Privilegien. Im Gegensatz zu vielen anderen Studenten, bewohnte sie ein winziges Appartement außerhalb des Campus und musste sich
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