Nachtzug ins Glueck
die ganze Zeit keine Probleme, in den Zug und wieder auszusteigen, als du ihn besichtigt und dich auf diese Reise vorbereitet hast, nicht mal bei der Abfahrt. Und plötzlich, als du diesem Mann näherkommst – und ich gehe davon aus, ihr seid euch sehr nahegekommen –, verspürst du das Bedürfnis, in die andere Richtung auszubrechen? Ich glaube, du brauchst keinen Therapeuten, um eins und eins zusammenzuzählen. Du brauchst nur ehrlich zu dir selbst zu sein und dir einzugestehen, wovor du wirklich Angst hast.«
»Ich will glücklich sein. Ich habe hart daran gearbeitet, glücklich zu sein.«
»Aber du klammerst dich immer noch an dieses letzte Problem, oder? Und wenn du jemandem begegnest, der dir das Gefühl gibt, das Problem wäre verschwunden, weist du ihn zurück. Wenn du mich fragst, ergibt das keinen Sinn. Warum tust du das?«
Brenna starrte auf den See, unfähig zu antworten, obwohl sie tief in ihrem Herzen die Antwort kannte. »Er wollte mehr. Dass wir uns nach der Reise wiedersehen.«
»Und?«
»Ich weiß nicht. Es ist, als hätte sich mit ihm alles geändert, und das so schnell. Ich habe mich von mir selbst – meinem verkorksten Selbst – zu einer … normalen Frau gewandelt. Ich schätze, ich wusste nicht, ob irgendwas davon real war. Und das war es auch nicht – ich konnte allein nicht mehr in den Zug steigen.«
Mel schwieg, und Brenna ließ voller Selbstverachtung den Kopf hängen. »Ich schätze, weil ich Angst hatte, dass das, was ich mit ihm hatte, auch nicht real war. Oder dass er, wenn er mich, mein wahres Ich, kennenlernt, Reißaus nehmen könnte.«
»Für mich klingt es, als hätte er dein wahres Du bereits kennengelernt und sei damit zurechtgekommen.«
»Scheint so.«
»Hör zu, es liegt in deiner Hand. Wenn du da rauswolltest und noch nicht bereit dafür bist, ist das okay. Aber du musst ehrlich zu dir selbst sein. Versteck dich nicht hinter deinen Phobien! Was du gerade durchmachst, haben schon tausend andere Frauen auf diesem Planeten erlebt, wenn sie fürchten, dass ihre Beziehung zu einem tollen Typen nicht von Dauer sein könnte. Willkommen im echten Leben, Bren!«, sagte Mel sanft und mit einem Lächeln in der Stimme. »Aber wenn du ihn willst, musst du dich auch für ihn entscheiden.«
»Ich konnte mich doch nicht nur darauf verlassen, dass er mir das Gefühl gibt, als hätte ich dieses Problem nicht. Ich musste in der Lage sein, das allein zu schaffen.«
»Warum?«
»Warum was?«
»Warum musst du es allein schaffen? Jeder braucht Hilfe. Vor Jahren bist du zu mir gekommen, um dir helfen zu lassen. Du rufst mich jetzt an, weil du Hilfe brauchst. Wir brauchen alle jemanden, der uns hilft. Warum war seine Hilfe so bedrohlich für dich?«
»Glaubst du wirklich, dass ich bloß nach Ausreden suche, damit ich keine Enttäuschung riskiere?«
»Ich denke, deine Phobien sind real, und zu einem gewissen Grad wirst du dich den Rest deines Lebens mit ihnen herumschlagen müssen. Doch manchmal können Grenzen ganz bequem sein, und sie zu überschreiten … eben nicht.«
»Ich weiß nicht, Mel. Ich weiß es einfach nicht. Ich hatte das Gefühl, so viel Boden verloren zu haben, als finge ich wieder bei null an.«
»Ach, Süße, du bist nicht annähernd bei null! Bei null warst du ein absolutes Wrack.«
Brenna lachte, und es fühlte sich gut an. »Reid hat mir das Gefühl gegeben, normal zu sein. Vielleicht ist Normalsein angsteinflößender, als ich dachte. Ich habe dann keine Ausreden mehr, stimmt’s?«
»Ich glaube, langsam bist du auf der richtigen Spur.«
»Gut … also, danke.«
»Halte mich auf dem Laufenden, und wenn nötig, finden wir einen Weg, wie wir dich wieder nach Hause bekommen, ja?« Plötzlich klang Mel leicht abgelenkt, und Brenna hörte, wie sie jemandem bei ihr im Zimmer etwas zuflüsterte. »Ich muss aufhören, Bren.«
»Okay, danke. Tschüss, Mel.«
Sie legten auf, und Brenna stöhnte. Sie war so mit ihrem eigenen Drama beschäftigt gewesen, dass sie ganz vergessen hatte, Mel zu fragen, wie ihr Wochenende lief – vor allem, wie das erste Treffen mit den Eltern ihres neuen Freundes verlaufen war.
War es immer so? Brenna betrachtete Mel mittlerweile tatsächlich nicht mehr als ihre Therapeutin, sondern als Freundin, doch vielleicht hatte sich die Einseitigkeit ihrer damaligen Beziehung auf ihre Freundschaft übertragen. Konnte es sein, dass Brennas Phobien so lange Zeit einen so großen Teil ihres Lebens ausgemacht und sie definiert hatten, dass es
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