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Nackige Engel

Nackige Engel

Titel: Nackige Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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1
    Hitler in München!
    Unglaublich! Mit der Wiederkehr einer solchen Botschaft hatten nicht einmal die Braunen gerechnet. Vermutlich saßen die jetzt da und rubbelten an den Lettern herum in der Angst, dass sich die gute Nachricht bald von selbst wieder in Luft auflösen würde. Ein Spuk? Aber die Schlagzeile war echt und vor allem tagesaktuell. Durfte man eine solche Überschrift überhaupt unter die Leute bringen?
    – Seite sechsundfünfzig, Münchner Teil.
    Grußlos hatte Julius meinen Laden betreten und mir die Zeitung auf den Tisch geworfen. Seine bloße Anwesenheit bereitete mir heute Morgen körperliche Pein. Julius’ Blick war brackig, und die verquollene Visage wies enge Verwandtschaft mit dem Profil eines Donauwallers auf. So wie er mich musterte, sah ich noch schlimmer aus.
    Heute früh hatte ich mit einem unbeholfenen Schlag Wecker und Wasserglas vom Nachttisch gefegt und war, vom selbst verursachten Lärm unsanft geweckt, erschrocken hochgefahren. Minutenlang verharrte ich auf der Bettkante. Meine bleiche Haut hatte in der Dunkelheit etwas Fluoreszierendes an sich. Ich versuchte, die nötige Kraft zu schöpfen, um den Nacktmull, dem ich mich innerlich wie äußerlich anverwandelt fühlte, niederringen zu können. Die Selbstbegegnung im Spiegel würde eine Schwächung herbeiführen und musste daher vermieden werden. Ich wusste, dass ich mich vor meinem Anblick ekeln würde.
    Julius tippte auf die Zeitung. Ich lehnte mich zurück und drehte mir eine Zigarette. Er verzog angewidert das Gesicht. War mir jetzt auch egal. Mein Kaffee war kalt geworden, irgendwas frisches Warmes brauchte ich jetzt.
    Den Artikel überflog ich nur kurz. Fasching, womöglich ein Scherz, auf jeden Fall aber geschmacklose Provokation – war ja alles richtig! Das Bild dazu war ein grobkörniger Schnappschuss. Da stand ein Troll in Wehrmachtsmantel, Stiefeln, mit einer Offiziersmütze auf dem Kopf. Im Widerschein des Blitzlichts erkannte man Silberpaspelierung und Totenkopf. Das Gesicht blieb unkenntlich, ein konturtos-grauer Brei, aber natürlich mit dem Bärtchen, das ausreichend Führeridentität stiftete. Im Hintergrund die Backsteinmauer von St. Anton. Ecke Thalkirchner-/Kapuzinerstraße ungefähr. Er legte grüßend die behandschuhte Rechte an den Schild seiner Mütze. Der Wiedergänger hatte dem Schlachthofviertel einen Besuch abgestattet.
    Nun schob Julius die Boulevardversion herüber. Neonazis: Ehrenwache vor Scheißhaus! Das klang schon entschieden besser. Vier Kerle standen vor einer Reihe blau-brauner Dixikabinen, zwei mit Fackel, zwei mit Transparent: Deutsche Ehre, deutscher Soldat. Julius rang sich ein wulstiges Grinsen ab.
    – Irre, oder?
    Aber das Irrste, was mir heute nicht mehr in den gequälten Schädel wollte, war, dass ich diese ganze Geschichte losgetreten hatte.
    2
    Nur unter Schwierigkeiten war ich in der Lage, den Ablauf der Ereignisse auf die Reihe zu bekommen, das Geschehene einem halbwegs vernünftigen Menschen erklären zu wollen, wäre von vornherein zum Scheitern verurteilt.
    Mein leerer, aus den Tiefen der inneren Alkoholwüste kommender Blick wanderte durchs Schaufenster nach draußen. Das Wetter lieferte stimmungsmäßig die passende Grundierung. Mit Sonne im Herzen hätte man den föhnigen Wärmeeinbruch als unerwarteten Frühlingsboten begrüßt, aus meiner Perspektive war das nichts weiter als ein brutales Tauwetter. Von den Dächern rasselten Schneelawinen herunter und schlugen klatschend auf dem Pflaster auf. Vorsichtige Fußgänger wichen daher auf die Straße aus und hofften den durch den Dreck pflügenden Autos rechtzeitig entgehen zu können. Das ganze Schlachthofviertel ein brauner Matsch – genau das war der Ausdruck, den ich die ganze Zeit gesucht hatte.
    Gestern Vormittag war ich noch bequem und im Vollbesitz geistiger Kräfte hinter der Ladentheke gesessen, hatte in alten Jahrgängen der Fischereizeitschrift geblättert und Kaffee getrunken. Seit letzter Woche war ich Mitglied der Isarfischer. Angeworben hatte mich Rübl, mein Hausbesitzer, dessen entspannte Altersdebilität sich zu einem wahren Jungbrunnen für ihn entwickelte. Zum Glück für uns Mieter konnte er sich allen Versuchen widersetzen, in ein Altersheim verfrachtet zu werden. Dass er nun ganztägig in seiner Hofwerkstatt an der Zündapp seiner Jugend fräste und feilte, war gut zu ertragen. Dieser vergreiste Halbstarke hatte mir den Aufnahmeantrag mit dem Hinweis überbracht, man könne im Verein auch Backfische

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