Helvetias Traum vom Glück (German Edition)
1. Kapitel
«Gewählt ist mit hundertfünfundzwanzig Stimmen, Herr Peter Weller.»
«Jetzt hat es das Ekelpaket doch noch geschafft!»
Kommissär Ferrari drehte sich zu seiner Assistentin um.
«Na ja, ein Wonneproppen ist er nicht gerade. Da gebe ich dir recht, Nadine.»
«Ein Arschloch im Quadrat! Hast du seine Kampagne verfolgt? ‹Frauen zurück an den Herd!› ‹Stolze Mütter sollt ihr sein!› Wo sind wir denn da? Und Ausländer müssen seiner Meinung nach Deutsch können, wenn sie in die Schweiz einreisen wollen. Sie sollen eine Prüfung ablegen. Sogar die bilateralen Verträge will er aufkündigen. Ein erzkonservatives Arschloch, das mit seiner Politik die Schweiz um Jahre, wenn nicht um Jahrzehnte zurückwirft.»
«Du übertreibst. Zudem ist er ja nur einer von sieben. Es gibt zum Glück noch andere Kräfte in unserem Land, die für den Fortschritt einstehen und sich nicht von einem Weller aufhalten lassen.»
«Man siehts, Francesco, man siehts.»
Nadine schüttelte den Kopf und versank in trübe Gedanken.
Der Kommissär stellte den kleinen Fernseher ab. Immerhin ist ein Basler in den Bundesrat gewählt worden. Schlechter Trost. Nadines Bemerkungen hallten in seinem Kopf. Erzkonservativ war wohl noch schmeichelhaft ausgedrückt. Ein Rechtsradikaler würde es wohl eher auf den Punkt bringen. Noch vor wenigen Tagen standen die Chancen schlecht, dass Weller den Sprung in den Bundesrat schaffen würde. Die Eidgenössische Fortschrittspartei hatte zwar in den letzten National- und Ständeratswahlen einen erdrutschartigen Sieg eingefahren. Ein aussergewöhnliches Ergebnis für eine Partei, die seit Jahren vor sich hin dümpelte. Wenn man sich jedoch die Parteispitze der EFP näher betrachtete, war die Verdoppelung ihrer Sitze innerhalb von vier Jahren nicht mehr so überraschend. Alle Querulanten der anderen bürgerlichen Parteien hatten sich nämlich mit Weller zur EFP zusammengeschlossen und ihre Anhänger nahmen sie gleich mit. Trotzdem – dieses Ergebnis hatte niemand erwartet. Für die gemässigte Schweiz, in der man sich auf politischer Ebene mit Samthandschuhen anfasste, war es eine Sensation. Die viel besungene und seit ein paar Jahren arg in Bedrängnis geratene Zauberformel schien ihr Ende zu nehmen und alle, die sich gegen Radikalismus jeglicher Art einsetzten, kassierten eine klatschende Ohrfeige.
«Ein Armutszeugnis! Ich schäme mich für die Schweiz. Ich verstehe nicht, dass sich die Bürgerlichen hinter diesen Weller stellen. Auch mein Vater! Der kommt mir heute Abend gerade recht.»
Armer Nationalrat Kupfer. Tja, da muss er durch.
«Das ist Demokratie, Nadine», versuchte Ferrari seine Kollegin zu beruhigen.
«Du findest das sicher auch noch lustig. Womöglich hast du ihn und seine sauberen Parteikollegen bei den National- und Ständeratswahlen auch gewählt. Heimlich versteht sich, um in der Öffentlichkeit sich darüber aufzuregen, dass er seinen Stimmanteil verdoppeln konnte. So seid ihr doch, ihr harmlosen Biedermänner. Gegen aussen hin tolerant und aufgeschlossen. Liberal, wie es doch so schön heisst. Aber, wenns gegen die eigenen Frauen und die Ausländer geht, dann immer feste draufhauen.»
«Also, das ist doch die Höhe! Das lass ich mir von dir nicht sagen. Ich wähle seit Jahren, was heisst seit Jahren, seit Jahrzehnten …»
«Nun, was wählst du, Ferrari?», schrie Nadine mit hochrotem Kopf. «Wen hast du gewählt, wenn nicht diesen Weller? Sicher seine Steigbügelhalter von den Bürgerlichen. Noch schlimmer. Jetzt zeigst du dein wahres Gesicht, Francesco! Du bist zu feige gewesen, Wellers Partei direkt zu wählen. Also wählst du die anderen, die ihn dann auf den Thron heben. Raffiniert! Damit wäschst du deine Hände in Unschuld. Sauber gemacht, Herr Kommissär! Bravo!»
Die letzten Worte hörte wohl auch Staatsanwalt Borer, der nach erfolglosem Klopfen das Büro betrat.
«Ah! Da kommt ja noch so ein Vollblutpolitiker. Wo ist der Champagner, Herr Staatsanwalt? Es gibt Tausende, was sage ich, Millionen von Gründen, um zu feiern. Die Herren der Schöpfung und die Ewiggestrigen sind die Gewinner des heutigen Tages. Aber die Schweiz hat verloren. Hier mieft es gewaltig. Ich muss raus an die frische Luft, bevor ich kotze.»
Nadine Kupfer stiess den Staatsanwalt zur Seite und warf die Tür hinter sich zu. Borer tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe.
«Ihre Assistentin ist wohl voll durch den Wind.»
Ferrari lächelte milde.
«Sie ist ein wenig erregt.
Weitere Kostenlose Bücher