Nadelstiche
ein Riesending. Wenn ich nachweisen kann, dass der Junge unschuldig ist, hab ich in Zukunft eine größere Glaubwürdigkeit.«
»Manny, bislang hattest du es hauptsächlich mit Mördern zu tun«, sagte Jake. »Bist du wirklich bereit, dich mit Terroristen und dem Staat anzulegen? Denk doch mal an die Risiken.«
»Ich bin zu allem bereit. Tut mir leid, aber ich muss los.« Manny stieß sich so heftig vom Tisch ab, dass Wasser aus den Gläsern schwappte.
Sie blieb kurz stehen, um noch einen letzten Treffer zu landen. »Wie war das denn, als du fast in die Luft gesprengt worden wärst, weil du versucht hast, Pete Harrigans Mörder zu überführen? Du darfst ruhig Risiken eingehen, aber ich nicht? Wirst wohl langsam alt, was?«
Jake verzog das Gesicht. Er wollte sie doch bloß vor irgendwelchen Gefahren bewahren. Jetzt versuchte er, möglichst nicht beschützerisch zu klingen. »Sei bitte vorsichtig.«
Seine ruhigen Worte wirkten wie ein Windstoß auf einen Waldbrand. Manny wirbelte herum. »Benimm dich nicht wie mein Aufpasser, Jake. Schließlich haben wir keinerlei gegenseitige Verpflichtungen. Ich ruf dich morgen an, wenn ich mit meinem Mandanten gesprochen habe.« Sie war mit Mycroft im Schlepptau schon halb über die Straße, ehe Jake auch nur dem Kellner winken konnte, um zu zahlen.
Er warf ein paar zerknitterte Zwanziger auf den Tisch und trabte hinter ihr her. Mit ihrer roten Haarmähne und dem glänzend rosa Pullover war Manny etwa so unübersehbar wie ein Tornado. Was er machen würde, wenn er sie eingeholt hatte, wusste Jake nicht. Vulkanische Gedankenverschmelzung vielleicht.
Möglicherweise war das die einzige Möglichkeit, um ihr klarzumachen, wie unvernünftig sie sich verhielt. Den Unterdrückten zu helfen war eine Sache, aber sich für irgendeine verrückte und rührselige Lügengeschichte einspannen zu lassen war etwas ganz anderes. Und wie sollte sie die ganze Arbeit bewältigen, die so ein Fall mit sich brachte? Die großen Strafverteidiger hatten ein ganzes Team zur Unterstützung; Manny hatte einen Assistenten mit Nebenjob als Dragqueen.
Jake spürte etwas auf dem Herzen, das nicht durch Mannys Verhalten ausgelöst worden war. Sein Handy vibrierte. Das Display zeigte die Nummer von seinem Büro. Tolles Timing.
»Rosen«, blaffte Pederson. »Machen Sie, dass Sie sofort zur 14. Straße West, Nummer 53, kommen. Sieht so aus, als hätte der Vampir wieder zugeschlagen. Und diesmal hat er Ihnen eine Leiche dagelassen.«
5
Kaum hatte das Taxi am Straßenrand gehalten, begann Jake zu arbeiten. Er war stellvertretender Leiter der Gerichtsmedizin, und somit wurden seine Pflichten vom Leiter der Gerichtsmedizin vorgegeben: feststellen, wer das Opfer ist, was passiert ist, wo es passiert ist, wann es passiert ist und wie es passiert ist.
Aber für ihn erschöpfte sich seine Arbeit nicht darin. Seiner Meinung nach erzählte jedes Opfer eine weitaus kompliziertere Geschichte als die Blutspritzer um die Leiche oder die Fasern und Haare, die an ihr klebten. Das »Wer« und das »Warum« waren häufig unentwirrbar mit der Lebensgeschichte des Opfers verbunden. Leben verschmolz mit Tod.
Amanda Hogaarths Geschichte begann hier auf diesem blitzsauberen Bürgersteig vor dem vornehmen Gebäude, in dem sie gelebt hatte. Jake bemerkte die erschütterte Miene des Türstehers, der ihn hineinließ, und die stocksteife Haltung des Portiers hinter seinem Schreibtisch. Irgendwie hatten diese beiden einen Mörder in diesen vermeintlich sicheren Hafen eindringen lassen.
Jake blickte sich in der Lobby mit ihrem Marmorfußboden und den edlen, aber unpersönlichen Möbeln um. Eigentümergemeinschaft oder Luxusmietwohnungen? Eigentümergemeinschaften waren meist ein wenig geselliger. Die Nachbarn kannten einander zumindest flüchtig von den vielen endlosen Eigentümerversammlungen. In einem reinen Mietshaus wäre die Anonymität größer, auch für Amanda Hogaarth.
Jake fuhr mit dem Fahrstuhl in den dreizehnten Stock des um die Jahrhundertwende gebauten Hauses. Als die Tür aufglitt, bot sich ihm ein Bild hektischer Betriebsamkeit. Polizeibeamte befragten die Nachbarn auf der Etage. Die Kriminaltechniker waren mit ihrer umfangreichen Ausrüstung eingetroffen. Während er auf die Tür zu Apartment 13 C zuging, verrieten ihm wiederholte Lichtblitze, dass der Polizeifotograf bei der Arbeit war.
Jake traf Detective Pasquarelli in der Diele. »Kann ich mich in der Wohnung umsehen?«
Der Detective nickte. »Die Techniker
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