Nadelstiche
hatten sie mit ihm angestellt, dass diese matte Teilnahmslosigkeit seine jugendliche Leidenschaft verdrängen konnte? Travis hatte seinen Status als Opfer akzeptiert. Würde sie das auch tun?
Dr. Costello drehte den Laptop so, dass seine Frau einen Blick darauf werden konnte. Ein frohes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Dann drehte der Tierarzt den Laptop zu Manny und Travis herum.
Manny hätte sich selbst in der verstört aussehenden rothaarigen Frau nie und nimmer erkannt, wenn sie nicht neben Travis gesessen hätte. Sie verspürte den Impuls, sich die zerzausten Haare glatt zu streichen, doch ihre gefesselten Hände ließen das nicht zu. Sie schüttelte den Kopf. Die Frau auf dem Bildschirm ebenso. Es war gruselig.
»Was denkst du?«, fragte Elena.
Manny reagierte nicht. Sie weigerte sich, das Spiel mitzuspielen.
»Na, na, immer schön lächeln. Bald bist du eine Berühmtheit. Wir haben nämlich eine E-Mail von dem Vampir an alle Nachrichtenagenturen in der Stadt geschickt, damit die Leute sich angucken können, was gleich hier passiert. Und natürlich werden wir auch deinen Freund Dr. Rosen bitten, sich das anzuschauen.«
»Was passiert denn gleich?«, fragte Manny.
»Wirst du schon sehen. Die ganze Welt wird es sehen. Endlich.«
49
Ich suche Freak.«
Sam hatte Paterson in Jakes Wagen erkundet und die Gruppen von jungen Männern studiert, die an bestimmten Ecken zusammenstanden. Es war zwar mitten an einem normalen Werktag, doch in Paterson gab es anscheinend reichlich Männer, die nicht nach der Stempeluhr lebten. Nach sorgfältiger Beobachtung entschied sich Sam für die Gruppe, der er am allerwenigsten in einer dunklen Gasse begegnen wollte. Er parkte den Wagen und schlenderte zu ihnen rüber.
»Will mir nämlich ’nen Hund kaufen«, erklärte Sam, nachdem seine Gesprächseröffnung keinerlei Reaktion hervorrief. »Ein Kumpel von mir hat gesagt, da sollte ich mal Freak fragen.«
Die Männer bauten sich breitbeinig auf, federten in den Knien und rollten die Schultern. Der größte von ihnen starrte Sam an. Sam starrte zurück. Das dauerte gut fünfundvierzig Sekunden. Als Sam sich nicht vor Angst in die Hose machte, grinste der Koloss und ließ vier Goldzähne blitzen.
»Hübscher Kühlergrill«, sagte Sam. »Ich glaub, du bist der Typ, von dem die Kumpel drüben auf der 15. Straße geschwärmt haben.«
Sie brachen in brüllendes Gelächter aus. Auch Sam schmunzelte, erfreut, ein bisschen Sonnenschein in ihr Leben gebracht zu haben.
»Freak hat sich hier schon länger nicht blicken lassen«, sagte der Koloss mit dem Goldgrinsen schließlich, immer noch lachend.
»Tja, wie gesagt, ich will ’nen Hund kaufen. Wer kümmert sich denn um seine Hunde, wenn er weg ist?«
Der Koloss musterte Sam von oben bis unten und versuchte, sein Metier zu erraten. Vorstadtdrogenhändler? Zuhälter? Verkäufer von Pornos? »Das sind aber keine Schutzhunde, Mann«, erklärte er. »Das sind Kampfhunde – für was anderes sind die nicht zu gebrauchen. Und außer Freak wird kein Schwein mit denen fertig.«
»Aber Freak ist nicht da. Also wer kümmert sich denn jetzt um die Hunde?«
»Die füttert Pauly. Aber der kann dir auch nicht helfen.« Der Riese tippte sich an die Stirn. »Der hat sie nämlich nicht alle.«
»Alles klar. Okay. Bis dann mal.«
Sam stieg wieder ins Auto, zog sein Sakko an und fuhr zwei Blocks weiter zur Suppenküche der Kirche Mother of Mercy. Er betrat den gut gefüllten Speisesaal, überflog die Menge und ging dann zielstrebig auf eine untersetzte Frau mittleren Alters zu, die ein Holzkreuz an einem Lederriemen um den Hals trug.
»Guten Tag, Schwester«, sagte Sam mit einem strahlenden Lächeln. »Ich suche nach einem jungen Mann namens Pauly.« Er senkte die Stimme. »Geistig ein wenig zurückgeblieben? Aber wie ich höre, kann er kräftig zupacken, und ich hätte da ein paar kleinere Arbeiten für ihn drüben in meinem Lagerhaus auf der Philips Street.«
Die Nonne faltete entzückt die Hände. »Ah, der Herr sorgt doch stets für uns! Pauly war gerade eben noch da. Er wollte sich ein bisschen Geld leihen, als Überbrückung, bis sein Scheck von der Invalidenrente kommt. Der ist ganz bestimmt froh über einen Job, Mr –«
»Pederson«, log Sam, ohne mit der Wimper zu zucken. »Wo kann ich ihn denn finden?«
»Nur ein Stück weiter die Straße runter. Er wohnt über der Kneipe.«
Sam empfand einen Anflug von Schuldgefühlen, weil er eine Nonne angeschwindelt hatte, doch
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