Nadelstiche
keinen Fall eine Dienstreise nach Tirana machen werde.«
Manny trat frustriert gegen ihren Schreibtisch und hüpfte dann vor Schmerz auf einem Bein durchs Zimmer. Mycroft beobachtete sie trübselig. Seit er aus der Hundetagesstätte Little Paws rausgeworfen worden war, weil er sich mit einem Boston Terrier angelegt hatte, verbrachte er elend lange Tage mit Manny im Büro. »Irgendwie müssen wir rauskriegen, wer Boo angeheuert hat und warum. Warum wollte der Bombenleger Travis da mit reinziehen?«
»Travis und/oder Paco«, sagte Sam. »Die beiden Burschen, die Boo mit in den Club Epoch genommen hat, werden nichts wissen. Wir müssen diesen anderen Kerl finden, Freak.«
»Oder Deke oder Zeke«, sagte Manny. »Keiner scheint genau zu wissen, wie er heißt, woher er kam oder wohin er verschwunden ist.«
»Die Polizei hat eine Datenbank mit Spitznamen, die Straßenkriminelle benutzen«, sagte Sam. »Weißt du, ob das FBI schon versucht hat, den Burschen darin zu finden?«
Manny ließ sich in ihren Schreibtischsessel fallen und drehte sich damit zum Fenster. Zwanzig Stockwerke tiefer glitt der Verkehr auf der stark befahrenen Hudson Street geräuschlos dahin. »Wenn du mich fragst, will die Bundesstaatsanwaltschaft möglichst so tun, als hätte es unseren großen Unbekannten nie gegeben. Und das an sich finde ich schon ziemlich merkwürdig.«
»Ach Manny – du siehst überall Verschwörungen. Warum ziehst du nicht auch mal die gute alte Inkompetenz in Erwägung?«
»Hast ja recht, Sam. Die kann man auf Bundesebene gar nicht hoch genug einschätzen. Zum Glück kenne ich ein hohes Tier bei der Staatsanwaltschaft von New Jersey.
Ich werde ihm vorschlagen, die Namen für uns zu überprüfen – natürlich im Zuge ihrer Ermittlungen.«
Manny winkte Kenneth ins Büro. Er trug ein Hemd mit Tigerfellmuster unter einer kurzen Federboa-Jacke. Die Jacke war eine Konzession an die formelle Etikette einer Anwaltskanzlei. Trotz seiner neuen Acrylnägel in Naturton hatte er den Schriftsatz für das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung im Fall Eduardo, der am nächsten Tag bei Gericht eingereicht werden musste, fehlerfrei ins Reine getippt.
»Danke, Kenneth. Ich unterschreib das gleich, dann kannst du es wegschicken.«
»Hallo? Bist du noch da?«, wollte Sam wissen.
»Tschuldigung. Wo war ich?«
»Auf der Suche nach Freak.«
»Genau. Wenn ich ihn finden könnte, müsste die Gegenseite akzeptieren, dass Travis nicht an der Tat beteiligt war. Wenn nicht, muss ich einen anderen Weg finden, um sie davon zu überzeugen, dass Travis ein ahnungsloser Trottel war, kein vorsätzlicher Mitverschwörer.«
»Bist du sicher, dass das stimmt?«
Manny seufzte. »Nicht hundertprozentig. Und genau deshalb sage ich ja, dass du dich von Travis Heaton fernhalten musst. Er steht unter Hausarrest, und ich gehe davon aus, dass die Wohnung von Bundesmarshals observiert wird. Wenn sie dich in das Gebäude marschieren sehen, erwartet dich eine ganze Streifenwagenflotte, wenn du wieder rauskommst. Ich werde mit ihm reden.«
Dieser Vorschlag wurde mit Schweigen quittiert. Schließlich sagte Sam: »Okay, vielleicht hast du recht.«
Manny lächelte. So einen Satz hörte man selten aus Männermund.
»Pass auf, ich möchte, dass du Folgendes rausfindest: Wessen Idee war es, in den Club Epoch zu gehen? Warum gerade dahin, warum gerade an diesem Abend? Wusste Travis, dass sie dort irgendwen treffen würden?«
»Das alles würde ich auch gern wissen, Sam. Und glaub mir, ich habe fest vor, es herauszufinden.«
»Was ist eigentlich mit diesem Paco? Wirst du mit dem auch reden?«, erkundigte sich Sam.
Manny wechselte den Hörer ans andere Ohr und streckte den Arm aus, um Mycroft zu streicheln. Er jaulte auf und wich vor ihrer Hand zurück.
»Manny! Was ist mit Paco?«
Sie war nicht wild darauf, diese Frage zu beantworten. Paco Sandoval erwies sich nämlich als unerreichbar, und so langsam machte sie das stinksauer. Er verschanzte sich hinter seiner diplomatischen Immunität und ließ seinen Freund die Suppe auslöffeln. Wenn Paco bloß ein unschuldiger Unbeteiligter war, genau wie Travis angeblich, warum versuchte er dann nicht wenigstens, seinem Freund aus der Patsche zu helfen? Sie hatte den Verdacht, dass der mysteriöse Anrufer, der Boo Hravek kontaktiert hatte, irgendwie mit Paco zu tun hatte. Aber wie sollte sie das beweisen, wenn sie nicht mal mit dem Jungen reden konnte? Die Wohnung seiner Familie lag in der Nähe des UN-Gebäudes und war
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