Herz in Not
PROLOG
„Sir, bitte! Hören Sie mich an!“
„Raus!“ Ostentativ drehte der schmächtige alte Mann seinem Besucher den Rücken zu.
„Und ob Sie mich anhören!“ Der kämpferische Unterton schien seine Wirkung nicht verfehlt zu haben. Erschrocken fuhr der ältliche Gentleman herum. Auf die leichte Panik, die in seinen trüben grauen Augen zu erkennen war, reagierte der jugendliche Bittsteller nur kurz mit einem unmerklichen sarkastischen Zucken um die Mundwinkel, dann hatte er sich sofort wieder in der Gewalt. „Erlauben Sie mir wenigstens, noch einmal mit Ihrer Tochter zu sprechen, bevor ich gehe ...“
„Meine Tochter habe ich mit ihrer Tante nach Herfordshire geschickt!“ Charles Lorrimer sah sein Gegenüber triumphierend an. „Ich habe sie über Ihren unmoralischen Lebenswandel aufgeklärt.“
Der junge Mann biss die Zähne zusammen. Der Blick seiner stahlblauen Augen schien seinen Kontrahenten zu durchbohren.
Unwillkürlich trat der Vater des Mädchens ein paar Schritte zurück. Sein Gegenüber stand in dem Ruf, gefährlich zu sein, nicht mit sich spaßen zu lassen. „Sie besitzen die Unverschämtheit, herzukommen und um die Hand meiner Tochter anzuhalten? Sie? Mit Ihrem Lebenswandel? Sie, dem Spiel, Hurerei und Zank nicht fremd sind? Sie, der jüngere Sohn eines bankrotten Viscount? Ohne Aussicht auf Titel und Vermögen? Nicht einmal die Aasgeier würden sich um Ihre verstorbenen Eltern streiten!“ Der alte Mann biss sich auf die schmalen blutlosen Lippen - er wusste, dass er zu weit gegangen war.
Der junge Mann unterdrückte seine Wut. Nur für den Bruchteil einer Sekunde reagierte er auf diese Schmach mit einem verächtlichen Lächeln.
„Raus! Oder ich rufe Brooks“, schrie der Greis außer sich vor Wut.
Der junge Bittsteller ließ sich nicht einschüchtern. „Sir, ich weiß sehr wohl, dass ich zur Zeit wenig zu bieten habe. Geben Sie mir zwei Monate Zeit. Ich bin an mehreren Geschäften beteiligt und kann dann be-
trächtliche Geldmittel aufbringen
„Glauben Sie, meine Tochter kaufen zu können?“ keuchte der Greis wütend.
Verbittert drehte sich der junge Mann mit der dunklen Mähne um. An der Mahagonitür blieb er noch einmal stehen. Verächtlich maß er seinen hageren, gebeugten Widersacher. „Sicher!“ versprach der junge Mann leise und schloss ruhig die Tür hinter sich.
1. KAPITEL
Victoria Hart kniete neben dem Bett ihres Mannes. „Versprich es, Victoria!“ flüsterte der Kranke. Mit zittrigen Fingern strich er sanft über das schwarze Haar seiner Frau. „Versprich es, Liebes, dass du ihm schreiben wirst. Jetzt... sofort.“
„Pscht!“ beruhigte Victoria den Kranken. Sie schloss die Augen, um ihren Kummer zu verbergen. „Du kannst ihm selbst schreiben, wenn du dich etwas besser fühlst“, brachte sie mit tränenerstickter Stimme hervor. Hilfe suchend schaute sie zu Dr. Gibson, dessen gebeugte Gestalt an der Tür im Schein des Kaminfeuers zu erkennen war. Machtlos schüttelte der Arzt den Kopf.
Die lieb gemeinte, verzweifelte Geste, ihn aufzumuntern, versuchte ihr Mann mit einem matten Lachen zu würdigen. Doch sofort rang er wieder keuchend nach Luft. „Wirst du es für deinen armen alten Danny tun?“ krächzte er schließlich nach einem langen qualvollen Hustenanfall. „Versprichst du, dass der Brief heute noch zur Post geht? Ich möchte, dass er ihn rechtzeitig erhält.“ Erschöpft schwieg er und sah seine hübsche junge Frau mit einem matten flehenden Blick an.
Als Victoria nickte, strich er mit kalten Fingern sanft über ihre warme, tränennasse Wange, dann fiel die knochige Hand kraftlos zurück auf die Bettdecke. „Danke, Victoria.“ Erleichtert schloss Daniel Hart die Augen. „Du weißt, was du mir versprochen hast, meine Liebe? Keine Trauerkleidung ... kein Trauern, keine Trübsal, kein sich Fernhalten von Leuten deines Alters. Du weißt, dass dies eine Klausel meines letzten Willens ist..." Ein heiseres Lachen begleitete seine nächsten Worte: „Wir scheren uns doch nicht um Konventionen ... nicht wahr, meine
Liebe?“ Wie zum Abschied drückte er ihre schmale Hand.
Das leichte Rascheln ihres Kleides zeigte ihm an, dass sie sich erhoben hatte. „Versprich es, Victoria ...“, rasselnd rang er nach Luft, „... dass du nicht mehr weinen wirst..."
David Hardinge, Viscount Courtenay of Hawkesmere, hielt lächelnd beim Diktat inne. Es war eine so seltene humorvolle Geste, dass Jacob Robinson, der persönliche Sekretär Seiner Lordschaft, im
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