Nächstenliebe: Thriller (German Edition)
Rücken. Für ihn bestand kein Zweifel, Esther wusste über seinen Kardinal Bescheid. Woher? Sein Blick fiel auf Ali.
Ja, das musste es sein. Dieser Hund muss es ihr erzählt haben, waren seine hasserfüllten Gedanken.
„Was kannst du mir geben, dass wertvoller als das Buch ist?“
„Mich.“
„Dich? Du machst wohl Witze, altes Weib“, sagte Ismail und war belustigt über Esthers Worte, aber Esther lachte nicht.
Was machst du hier ?, war wieder der Gedanke, der sich Ismail seiner bemächtigte.
Esther antwortete nicht, sondern ging auf Ismail zu. Kaan erschrak, konnte sie aber nicht stoppen, sie wich seiner Hand aus. Ismail richtete die Waffe auf Antara und wurde sichtlich nervöser.
„Bleib wo du bist oder er stirbt“, sagte er zu Kaan, der versuchte Esther hinterherzugehen, um sie aufzuhalten.
Kaan blieb stehen, aber Esther schritt unbeirrt auf Ismail zu.
„Wieso willst du ihn töten? Der Junge kann doch nichts dafür dass sein Vater dem Geld erlag, um seiner Familie ein besseres Leben zu bieten. Und nun Ali, was hat dir dieser kurze Reichtum beschert? Geld hast du, aber eine Familie …?“, sagte sie am Ende ganz leise und Alis Blick traf ihren.
Doch auch diesmal lag kein Hohn oder Vorwurf in ihrem Blick, sondern Güte und Mitgefühl. Selbst Ismail bemerkte die Scham, die Ali in diesem Augenblick empfand.
„Bleib stehen“, sagte Ismail sichtlich nervös, diesmal die Waffe auf Esther gerichtet.
Doch Esther ging unbeirrt weiter auf ihn zu. Diese alte, kleine Frau schien den Tod nicht zu fürchten. Fast hatte es den Eindruck, als glaubte sie nicht daran, dass Menschen bösartig sein konnten. Als hätte sie trotz ihres Alters immer noch die unschuldige Naivität eines kleinen Kindes.
„Das Buch hast du nicht. Aber ich habe dir versprochen, dass du etwas Kostbareres erhalten wirst, wenn du sie gehen lässt“, sagte sie und stand nun unmittelbar Ismail gegenüber.
Ismails Hände zitterten.
Sie ist doch nur eine alte Frau …
Warum machte sie ihm solche Angst?
Und dann geschah es.
Esther berührte mit ihrer Hand seine Hand, in der die Waffe lag. Zur Überraschung aller reagierte Ismail nicht unkontrolliert. Er stieß sie nicht zur Seite oder benutzte die Waffe. Nein, Ismail ließ diese sanfte Berührung zu.
Sein Gesicht verzog sich und man konnte fast den Eindruck gewinnen, als würde Reue sich seines Gesichtes bemächtigen.
Dieser große, gefühlskalte und erbarmungslose Ex-Terrorist schien wirklich ein Herz zu haben, und dies zu berühren, war Esther augenscheinlich gelungen. Aber es lag auch Unsicherheit in seinem Gesicht.
So sehr er sich auch bemühte, dagegen anzukämpfen, schoss ein warmer Regen durch seinen Körper, als Esther ihn berührte.
Er konnte es sich nicht genau erklären, aber es war, als würde Esther tief in seine zerrissene Seele schauen und all die schlimmen Dinge sehen, die er begangen hatte, in der festen Überzeugung ein guter Christ zu sein.
Aber Esther schien sich nicht von ihm abzuwenden, stattdessen schien sie ihm zu sagen: „Er liebt dich noch immer. Noch ist es nicht zu spät, diesen Pfad zu verlassen. Gewalt ist keine Lösung.“
Ismail wusste nicht, ob er dagegen ankämpfen sollte, oder es einfach über sich ergehen lassen sollte.
Er spürte, dass er nicht mehr Herr seiner Gedanken war . Oder bildete er sich das alles nur ein? War sie eine Hexe, die sich satanischer Methoden bediente und es verstand, geschickt seinen Verstand zu manipulieren?
Jedoch war diese Wärme wohltuend, herzlich und beruhigend. Konnte das wirklich ein Satanswerk sein? War Satan nicht der geschickteste Manipulator? Versprach er nicht Gras, wo in Wirklichkeit die Einöde war? Wasser, wo Dürre die Gegenwart war? Jesus hatte Satan widerstanden. Könnte er das auch? War dies seine Prüfung, die ihn hierher geführt hatte? Zu stark war die Kraft, die von Esther ausging, als dass er eine Antwort auf seinen jetzigen Gefühlszustand hatte.
Würde sein Kardinal nicht enttäuscht sein, wenn er sich von dieser alten Frau einlullen ließ?
Aber Gott war gütig. Jesus war gütig. War dies auch sein Kardinal? Er hatte dies all die Jahre geglaubt.
Aber ein freier Mensch, der den Dogmen der Bibel folgt, brauchte dieser Mensch wirklich einen anderen, der ihm sagte, was er zu tun und lassen hatte?
Standen nicht all die Fragen auf seine Antworten bereits in der Bibel?
Ja, denn es hieß in seiner Lieblingsstelle geschrieben: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich
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