Nikos Reise durch Raum und Zeit - ein Roman über die Rätsel der Quantenphysik
Niko saß wie versteinert in seinem Bett. Was war da eben an der Decke seines Zimmers erschienen?
WENN DU MÖCHTEST,
DASS SICH ETWAS ÄNDERT,
DANN HÖR AUF,
IMMER DAS GLEICHE ZU TUN.
Durch irgendeinen seltsamen optischen Effekt spiegelte sich dieser rätselhafte Satz direkt über seinem Kopf wider. An den Widerschein der Autos, die durch die Straße fuhren, war er ja gewöhnt. Wenn ihr Abbild an die Zimmerdecke geworfen wurde, konnte er sogar ihre Farbe erkennen. Aber so etwas wie das hier war noch nie passiert.
Das Rufen seiner Mutter lenkte ihn ab; mit einem Satz sprang er auf.
»Niko, du Faulpelz! Du kommst noch zu spät zu Physik!«
Physik! Sein Physiklehrer, der die schlechte Angewohnheit hatte, ihn immer genau dann etwas zu fragen, wenn er mit seinen Gedanken gerade ganz woanders war. Gestern erst war ihm das mal wieder bestens gelungen. Die ganze Klasse hatte sich auf seine Kosten amüsiert, auch das Mädchen, das ihm so gefiel.
Und es war noch schlimmer gekommen: Der Mädchenschwarm der Schule, der Freundinnen wie Trophäen sammelte, hatte sich während der Sportstunde an sie herangemacht und mit ihr herumgealbert. Dieser hirnlose Wichtigtuer hatte in zwei Minuten mehr Fortschritte bei ihr gemacht als er in zwei Jahren. Als er sie dümmlich lachen gesehen hatte, war Niko klar geworden, dass sie die Nächste sein würde in seiner Sammlung. Der Gedanke daran versetzte ihm einen Stich.
Es war einer dieser Tage gewesen, an dem sich das gesamte Universum gegen ihn verschworen zu haben schien.
Während er über sein Elend nachdachte, zog Niko sich hastig an. Er schlüpfte in ein Paar zerrissene Jeans und in das Hemd von gestern, das über dem Stuhl hing.
Mit einer fahrigen Bewegung fuhr er sich mit dem Kamm durch die Haare und betrachtete sich dabei im Schrankspiegel. Niko war mit einer Besonderheit auf die Welt gekommen: Seine Augen hatten verschiedene Farben. Eines war blau, das andere grün. Seine Eltern hatten immer gehofft, dass sich das irgendwann herauswächst, aber das war nicht geschehen.
Dann schob er mit dem Unterarm seine Bücher, die auf dem Schreibtisch lagen, über den Tischrand in seinen Rucksack. Er müsste unbedingt sparen und sich endlich einen neuen kaufen, sagte er sich. Der hier war kindisch und trug nicht gerade dazu bei, dass sich sein ohnehin dürftiges Ansehen verbesserte.
Er sah an die Decke und seufzte – da war er wieder: Der seltsame Satz wurde noch immer an seine Zimmerdecke gespiegelt.
Niko ließ seinen Rucksack aufs Bett fallen und streckte den Kopf neugierig aus dem Fenster. Er wollte wissen, woher diese Projektion kam. Eine Werbekampagne vielleicht?
Aber draußen war nichts zu sehen.
Die Physiklehrerin fiel ihm ein, die seinen Erzfeind am Anfang des Schuljahres für einen Monat vertreten hatte: Blanca. Richtig hübsch war sie gewesen und nett, und wenn sie sich für etwas begeisterte, hatte sie so schnell gesprochen, dass sie ihr den Spitznamen Black & Decker gegeben hatten.
Die Reflexion und die Refraktion, also die Spiegelung und die Brechung von Licht, hatten sie bei ihr durchgenommen. Einmal hatte sie Niko gebeten, ein Stück Tafelkreide auf einem Blatt Papier zu Pulver zu zerreiben. Sie hatten den Raum verdunkelt, und Blanca hatte eine Taschenlampe angeknipst. Niko sollte den Kreidestaub von dem Papier abklopfen, und durch die Kreidewolke hatten sie die gerade Linie verfolgen können, die der Lichtstrahl zurücklegte.
Nachdem sie wieder Licht in das Klassenzimmer gelassen hatten, hatte Blanca ihnen ein Rätsel aufgegeben:
»Stellt euch eine Straße vor, auf der ein dunkles Auto fährt, ohne Licht. Die Straßenlaternen sind aus und von nirgends wird ein Lichtschein reflektiert, von keinem Haus und von keinem Schaufenster. Plötzlich läuft eine schwarze Katze vor das Auto. Der Fahrer bremst rechtzeitig, bevor er das Tier überfährt. Nur: Wie hatte er die Katze sehen können?«
In der Klasse hatte erwartungsvolles Schweigen geherrscht. Alle hatten befürchtet, dass eine falsche Antwort ihnen eine schlechte Note einbringen würde. Blanca hatte noch ein paarmal nachgefragt und dann, als sie keine Antwort bekam, resigniert die Lösung verkündet:
»NIEMAND HAT GESAGT, DASS ES NACHT WAR.
DAS GANZE HAT MITTEN AM TAG STATTGEFUNDEN –
DER FAHRER HATTE ALSO ÜBERHAUPT KEIN
PROBLEM, DIE KATZE ZU SEHEN, UND KONNTE
RECHTZEITIG BREMSEN.«
»Niko!«
Der spitze Ton seiner Mutter ließ Niko die Suche nach dem Ursprung der geheimnisvollen Botschaft aufgeben.
Er ging in
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