Nana - der Tod traegt Pink
Moment
Der Morgen des 10. Januar 2012. Eine Facebook-Privatnachricht von Barbara an Dorothea Seitz:
Bin grad mal aufgestanden, konnte sogar ein wenig neben Nana schlafen, sie atmet noch so regelmäßig. Sie will uns wohl noch etwas Zeit geben, aber ich glaube nicht dass das jetzt noch lange ist.«
Barbara kehrt zurück ins Schlafzimmer und setzt sich gemeinsam mit Axel auf den Boden neben das Bett:
Über 48 Stunden war es nun her, dass Nanas Sterben begann. Sie lag auf meiner Seite des Ehebetts, Chris schlief neben ihr, ganz nah, zusammengerollt und erschöpft, denn er hatte die letzten beiden Nächte an Nanas Seite gewacht. Ihr Gesicht war ganz entspannt. Ihre Atemzüge regelmäßig. Sie war immer noch schön. Die Arme, sonst durch wechselnde Fieberschübe glühend heiß, fühlten sich nicht mehr so überhitzt an. Ungezählte Male in den letzten Stunden hatte ich sie um etwas gebeten, es ihr ins Ohr geflüstert. Gehofft , sie würde mich trotz ihres Tiefschlafs hören können. ›Bitte, Nana, wenn es irgendwie geht, lass mich dabei sein, wenn du gehst.‹
Axel und ich hielten uns im Arm. Das erste Mal seit dieser dunklen Samstagnacht, in der sich Axel so weit entfernt hatte. So wütend war ich auf ihn gewesen, dass ich sogar fürchtete, unsere Ehe könne daran zerbrechen. Doch jetzt, nach diesen zwei Tagen Wache neben unserer Tochter, konnte ich ihn nicht nur verstehen, sondern ihm sogar verzeihen. Welchem Vater droht nicht der Verlust des Verstands beim Anblick des von Schmerz gefolterten Körpers des eigenen Kindes?
In der Ruhe dieses Dienstagmorgens sprachen wir uns endlich aus. Wir waren wieder eins. Es war der Augenblick, den Nana erwählte. Ein letztes Einatmen, und dann, gefolgt von einer kaum merklichen Pause, ein sanftes Ausatmen.
Sofort ergriff mich ein intensives Gefühl. Ich spürte, wie Nana ihren Körper, diese kranke Hülle, die nur noch Schmerz und Last bedeutet hatte, verließ. Und doch bei uns im Zimmer blieb. Wieder einmal war sie es, die bestimmte. Sie konnte warten, bis die Harmonie an ihr Sterbebett zurückkehrte.
Axel und ich haben Nana zusammen in die Welt gebracht. Und wir beide haben sie gemeinsam aus der Welt gehen lassen.«
»Little Wing« von Jimi Hendrix
Now she’s walking thru the clouds
With a circus mind
That’s running wild
Butterflies and zebras
And moonbeams and fairytales
All she ever thinks about is
Riding with the wind
When I’m sad she comes to me
With a thousand smiles
She gives to me free
It’s alright it’s alright she says
Take anything you want from me
Anything
Fly little wing
Text und Musik: Jimi Hendrix.© Experience Hendrix Lic./
Universal/MCA Music Publishing GmbH
Kein Happy, aber auch kein Ende
Bild 16
Buttercremetorte
Bild 76
Barbara auf Gedenkseiten.de (31.5.2012):
»Heute wärst du 22 Jahre alt geworden [...]. Alles Gute, mein Schatz, ich liebe dich.«
Es ist der 31.5.2012. Nanas Geburtstag. Im sonnigen Garten der Familie Stäcker Lachen und fröhliches Stimmengewirr. Zwei gedeckte Tische auf der Terrasse sind umringt von Familie, Freunden, Bekannten. Kinder spielen Fußball auf dem Rasen. Valentina, auf dem Foto der Geburtstagsfeier vom vergangenen Jahr noch im Bauch ihrer hochschwangeren Mutter Olga, begutachtet nun die Blüten rund um die Terrasse. Gerade bringt Barbara Nanas alljährliche Buttercremetorte: liebevoll verziert mit kitschigen bunten Blüten, Bärchen und Schmetterlingen aus Zuckerguss und Schokolade. Alles wie in den 20 Jahren zuvor.
Nur diesmal fehlt jemand. Das Geburtstagskind.
Die meisten Gäste haben Nana zuvor einen Besuch auf dem Münchner Waldfriedhof abgestattet. Ihr Grab ist heute besonders farbenfroh. Künstliche Schmetterlinge in Pink und Schwarz schweben über lila Blumensträußen. Kerzen brennen, davon einige von Freunden selbst gestaltet. Am Kreuz, das Axel schwarz gestrichen hat, hängt Nanas Sterbebildchen, daneben ein eingeschweißter QR-Code. Wer ihn mit seinem Handy fotografiert, ist mit entsprechender Software sofort auf Nanas Seiten im Netz. In seiner Farbenpracht und mit diesem technischen Extra hebt es sich ab von den sonst eher grauen Gräbern.
Alles außer gewöhnlich
Auch Nanas Geburtstag, keine fünf Monate nach ihrem Tod, ist sicher eher unüblich. Nanas Freundin »Nase«, die sich wünscht, dieser Tag würde als »Welt-Nana-Tag« Einzug in den Feiertagskalender finden, Sandra, Rosi, Olga, Silke und all die vielen anderen, die Familie Stäcker und Chris heute besuchen,
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