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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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Prolog – 29.8.2009
    Wien, Innere Stadt/Österreich
    G enau um 6:09 Uhr war die Sonne an diesem Morgen blutrot über Wien aufgegangen. Ihre ersten Strahlen, die über die Dachfirste glitten, kündigten das Kommen eines weiteren heißen Augusttages an. Kaum eine halbe Stunde später begannen sich die Straßen an diesem Samstag zu füllen. Wenn auch gemächlicher als unter der Woche, rollten die ersten Vorboten der mittlerweile üblichen Verkehrslawine in die Innenstadt. Viele Wiener waren auf Urlaub gefahren, nach Italien ans Meer oder an eine jener All-inclusive-Destinationen, die nichts mehr dem Zufall überließen. Die Stadt schien trotz der Tag und Nacht anhaltenden, drückenden Hitze auszuatmen. Es würde ein ganz gewöhnlicher Sommertag werden in Wien, oder vielleicht einer, an dem wieder einmal Geschichte in der Stadt an der Donau geschrieben würde. Die alarmierenden tagespolitischen Ereignisse der letzten Zeit deuteten auf Zweiteres hin.
    Wilma Palm war bereits seit mehreren Stunden wach, die Nervosität und die Hitze der Nacht hatten sie kaum schlafen lassen. Jetzt lief sie, nach einem schnellen Frühstück im Stehen, den Ring, die Wiener Prachtstraße, entlang. Es blieb ihr nicht mehr viel Zeit, um vor ihrer Chefin im Büro am Stubenring einzutreffen. Seit der Wahl und dem Amtsantritt vor zwei Jahren hatte sie es sich zur Angewohnheit gemacht, mindestens eine Stunde vor der Ministerin an ihrem Arbeitsplatz zu sein, um alles für den reibungslosen Tagesablauf der Politikerin vorzubereiten. Die Regierung war angesichts der Finanzund Bankenkrise aus der Sommerpause zurückgeholt worden. Auch Palm hatte daraufhin auf ihren Urlaub verzichten müssen, er war von höchster Stelle ersatzlos gestrichen worden.
    Aber nicht nur deswegen war Wilma Palm wütend. Aufgrund der europäischen Finanzministerkonferenz hatte die Fahrbereitschaft der Regierung alle Wagen ihres Fuhrparks im Einsatz, um die ausländischen Politiker von den Hotels zur Hofburg und wieder zurück zu bringen. Palm hatte überhaupt kein Problem damit, die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, aber genau an diesem Morgen behinderte ein Schwertransport die Straßenbahnen entlang der Ringstraße. Tieflader, beladen mit Baumaschinen, waren im alljährlich wiederkehrenden sommerlichen Rhythmus zu riesigen Baustellen in der Bundeshauptstadt unterwegs – dieses Jahr war der Rennweg dran, wo der Fahrbahnbelag und die Straßenbahnschienen erneuert werden sollten. Die MA 46, die Magistratsabteilung der Stadt Wien für Verkehrsorganisation und technische Verkehrsangelegenheiten, hatte das Büro der Ministerin nicht darüber informiert, dass bereits am Wochenende mit den Arbeiten begonnen und daher mit massiven Verkehrsbehinderungen zu rechnen sein würde.
    »Das ist doch so selbstverständlich wie das Amen in der Kirche, dass gerade heute alles drunter und drüber geht«, ärgerte sich Palm laut und rätselte, warum die Baufirmen ausgerechnet die für die Konferenz so wichtige Ringstraße dazu benutzen mussten, um die schweren Geräte an ihren Einsatzort zu bringen. Am meisten haderte sie jedoch mit sich selbst, weil sie am Schottentor nicht die U-Bahn und damit den kürzesten Weg genommen, sondern sich für die oberirdische Ringlinie entschieden hatte.
    Zum selben Zeitpunkt verließ eine Gruppe Polizisten das Polizeikommissariat in der Rossauer Kaserne, überquerte die MariaTheresien-Straße und erreichte schließlich ebenfalls den Schottenring. Ihre Aufgabe war es, die Abbieger aus den Seitengassen und Nebenfahrbahnen umzuleiten, um einen Transporter nicht zu behindern, der einen hausgroßen gelben Bagger in den dritten Bezirk überstellte.
    Einer der Uniformierten postierte sich an der Einfahrt zur Gonzagagasse, während seine Kollegen weiter unten in Richtung Donaukanal ihre Positionen einnahmen.
    Amüsiert beobachtete der Polizist eine kleine, etwas untersetzte Frau mit kurzen, blonden Haaren, die ein dickes Bündel aus losen Akten und bunten Schnellheftern unter den Arm geklemmt hatte. In der anderen Hand trug sie eine bis zum Bersten gefüllte Aktentasche. Das Kostüm stand ihr überhaupt nicht und wirkte ein wenig aufgesetzt, fast wie eine Verkleidung, fand der Polizist. Die blonde Frau stöckelte im Schnellschritt an ihm vorbei und schimpfte hörbar vor sich hin. Sie ist wohl in Eile, dachte der Uniformierte und hielt einen Autofahrer davon ab, dem Schwertransport zu nahe zu kommen. Dann blickte er wieder zu der Frau, die sichtlich mit ihren

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