Narziss Und Goldmund
schwach gesehen hast!«
Tastend drang Narziß vor.
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»Ich verstehe«, sagte er, »daß dir das unangenehm war.
Ein so fester und tapferer Kerl wie du, und vor einem Fremden weinen, gar noch vor einem Lehrer, das paßte in der Tat nicht zu dir. Nun, damals hielt ich dich eben für krank. Wenn das Fieber ihn schüttelt, mag auch ein Aristoteles sich sonderbar benehmen. Aber dann warst du ja gar nicht krank! Es war ja gar kein Fieber! Und das ist es, wessen du dich schämtest. Niemand schämt sich, einem Fieber zu unterliegen, nicht wahr? Du schämtest dich, weil du etwas anderem erlegen warst, weil da etwas dich überwältigt hatte. War denn etwas Besonderes geschehen?«
Goldmund zögerte ein wenig, dann sagte er langsam:
»Ja, es war etwas Besonderes geschehen. Laß mich annehmen, du seiest mein Beichtvater; es muß ja doch einmal gesagt sein.«
Mit gesenktem Kopf erzählte er dem Freunde die Geschichte jener Nacht.
Lächelnd sagte darauf Narziß: »Nun ja, das ›Ins Dorf gehen‹ ist in der Tat verboten. Aber man kann vieles Verbotene tun und kann darüber lachen, oder man kann es beichten, und es ist erledigt und geht einen nichts mehr an. Warum solltest du denn nicht auch einmal, wie fast jeder Schüler, diese kleinen Torheiten begehen? Ist denn das so schlimm?«
Ohne Hemmung, zornig brach nun Goldmund los: »Du
sprichst wirklich wie ein Schullehrer! Du weißt ja genau, um was essich handelt! Natürlich sehe ich keine große Sünde darin, einmal den Hausregeln ein Schnippchen zu schlagen und einen Schülerstreich mitzumachen, obwohl auch das ja nicht gerade zu den Vorübungen des Klosterlebens gehört.«
»Halt!« rief Narziß scharf. »Weißt du nicht, Freund, daß für viele fromme Väter gerade diese Vorübungen nötig 35
waren? Weißt du nicht, daß einer der kürzesten Wege zum Leben eines Heiligen das Leben des Wüstlings sein kann?«
»Ach, rede nicht!« wehrte Goldmund ab. »Ich wollte sagen: nicht das bißchen Ungehorsam war es, das mein Gewissen belud. Es war etwas anderes. Es war das Mädchen.
Es war ein Gefühl, das ich dir nicht schildern kann! Ein Gefühl, daß, wenn ich dieser Verlockung nachgäbe, wenn ich auch nur die Hand ausstreckte, um das Mädchen anzurühren, ich niemals mehr zurück könne, daß mich dann die Sünde wie ein Höllenschlund einschlucken und nie mehr herausgeben werde. Daß es dann mit allen schönen Träumen, mit aller Tugend, mit aller Liebe zu Gott und dem Guten ein Ende hätte.«
Narziß nickte, sehr nachdenklich.
»Die Liebe zu Gott«, sagte er langsam, die Worte suchend, »ist nicht immer eins mit der Liebe zum Guten. Ach, wenn es so einfach wäre! Was gut ist, wissen wir, es steht in den Geboten. Aber Gott ist nicht nur in den Geboten, du, sie sind nur der kleinste Teil von ihm. Du kannst bei den Geboten stehen und kannst weit von Gott weg sein.«
»Verstehst du mich denn nicht?« klagte Goldmund.
»Gewiß verstehe ich dich. Du fühlst im Weib, im Geschlecht, den Inbegriff alles dessen, was du ›Welt‹ und
›Sünde‹ nennst. Aller anderen Sünden, so scheint es dir, bist du entweder gar nicht fähig oder aber sie würden, wenn du sie begingest, dich doch nicht erdrücken, sie würden sich beichten und gutmachen lassen. Nur die eine Sünde nicht!«
»Jawohl, genau so fühle ich es.«
»Du siehst, ich verstehe dich. Du hast ja auch nicht so sehr unrecht, die Geschichte von Eva und der Schlange ist ja wahrlich keine müßige Fabel. Und doch hast du nicht recht, Lieber. Du hättest recht, wenn du der Abt Daniel wä-
rest oder dein Taufpatron, der heilige Chrysostomus, wenn 36
du ein Bischof oder Priester oder auch nur ein kleiner simpler Mönch wärest. Der bist du ja aber nicht. Du bist ein Schüler, und wenn du auch den Wunsch hast, für immer im Kloster zu bleiben, oder wenn dein Vater diesen Wunsch für dich hat, so hast du doch noch kein Gelübde abgelegt, noch keine Weihe erhalten. Wenn du heut oder morgen durch ein hübsches Mädchen verführt würdest und der Versuchung erlägest, so hättest du keinen Schwur gebrochen, kein Gelübde verletzt.«
»Kein geschriebenes Gelübde!« rief Goldmund in gro-
ßer Erregung. »Wohl aber ein ungeschriebenes, das heiligste, das ich in mir trage. Kannst du denn nicht sehen, daß, was für viele andere gelten mag, für mich nicht gilt?
Hast denn nicht auch du selber noch keine Weihe, hast noch kein Gelübde getan, und doch würdest du dir
niemals erlauben, ein Weib anzurühren! Oder täusche ich
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