1194 - Lady Sarahs Horror-Trip
Es passierte nichts.
Kein Attentat. Keine Säure, die ihr plötzlich entgegengespritzt wäre, womit sie auch nicht gerechnet hatte. Es war alles so völlig normal.
Sie klaubte das Papier hervor und entfaltete es. Nichts war beschrieben, aber innerhalb des Papiers verbarg sich eine Nachricht, die jetzt zu Boden fiel.
Die Horror-Oma hob sie auf und hielt eine Visitenkarte in ihrer Hand.
Über ihre Lippen huschte ein Lächeln. Sie fühlte sich auf eine gewisse Art und Weise erleichtert.
Eine Visitenkarte war nicht gefährlich, aber ihr Misstrauen blieb trotzdem. Jemand, der ihr eine Visitenkarte schickte, musste seinen Grund haben, der legte sie nicht einfach nur so in den Umschlag. Der wollte etwas von ihr. Zumindest die Neugierde anheizen.
Brief und Umschlag legte sie auf den kleinen Tisch zurück und las das Gedruckte auf der Karte.
Abel Morley, lautete der Name. Sarah flüsterte ihn vor sich, schüttelte den Kopf, las ihn noch mal und zuckte dann mit den Schultern, denn dieser Name sagte ihr nichts.
Auf der Karte war eine Adresse in Kensington angegeben. Also nicht eben die schlechteste Gegend.
Wer dort lebte, musste auch das entsprechende Geld haben.
Warum schickt man mir eine Visitenkarte? überlegte Sarah. Da gab es nur eine Lösung. Man wollte sie neugierig machen. Sie sollte sich also dorthin begeben. In das Haus. Zu dieser Adresse, um weitere Informationen zu erhalten.
Sie lachte leise und sagte sich, dass so dumm doch niemand sein konnte.
Das war die eine Seite. Es gab auch noch eine andere. Und die hieß Neugier.
Der Absender hatte Lady Sarah sicherlich nicht ohne Grund ausgesucht. Er kannte sie. Und wenn das stimmte, dann kannte er auch ihre Neugierde.
Bestimmt hätten viele Menschen die Visitenkarte eines Unbekannten kurzerhand in den Papierkorb geworfen. Zu dieser Kategorie gehörte Lady Sarah nicht. Mit dem Eintreffen der Karte war ihre Neugierde geweckt worden. Darauf hatte der Unbekannte bestimmt spekuliert. Er kannte sie also gut genug.
Tatsächlich spielte Sarah mit dem Gedanken, nach Kensington zu fahren. Der Stadtteil lag nicht eben weit von Mayfair entfernt. Wenn sie sich nicht zu sehr täuschte, lag die Straße in der Nähe des Holland Parks.
Ja oder nein?
Sie überlegte. Immer wieder beschäftigte sich Sarah mit dem Namen Morley. Er wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf. In ihrem langen Leben waren ihr viele Menschen begegnet, aber niemand mit dem Namen Abel Morley. Daran hätte sie sich erinnert, denn ihr Gedächtnis war noch top.
Es gab noch eine andere Möglichkeit, mehr über Morley herauszufinden. Unter dem Dach hatte Jane Collins ihr Büro eingerichtet. Unter anderem verbarg sich dort ein normales Archiv, aber auch ein elektronisches. So hätte Sarah auch im Internet nachschauen können, ob der Name dort registriert war.
Nein, das wollte sie nicht. Zudem beschlich sie eine Ahnung, dass sie dort nichts fand. Da war es besser, wenn sie sofort zu dieser angegebenen Adresse fuhr.
Das wollte sie auch tun. Oder? Sie zweifelte noch. Sie überlegte. Sie ärgerte sich wieder, allein im Haus zu sein. Wäre Jane Collins da gewesen, wären sie gemeinsam gefahren. Jane hätte ihr natürlich auch abgeraten, allein einen Besuch abzustatten. So etwas hielt sie für zu gefährlich. Ebenso hätte John Sinclair reagiert, denn alle waren sehr besorgt um sie.
Deshalb rief Sarah ihren Freund, den Geisterjäger, auch nicht erst an. Sie wollte das Haus mal anschauen. Das konnte nicht schaden. Dann konnte sie immer noch entscheiden, was genau zu tun war.
Sie griff zum Telefon und rief ein Taxi an. Danach schlüpfte sie in ihren Mantel und steckte die Visitenkarte in dessen Innentasche. Sie blickte noch aus dem Fenster und fand, dass das Wetter draußen aussah wie eine graue Suppe, die sie allerdings nicht von ihrer Tätigkeit abhalten sollte.
Der frische Tag versprach trotzdem, spannend zu werden…
***
Die Addison Road in Kensington war eine recht breite Straße. Sie führte unter anderem westlich des Holland Parks vorbei, und von ihr zweigten Straßen in zwei unterschiedliche Richtungen ab. Einige davon waren Sackgassen. So auch die Straße, die Lady Sarah dem Taxifahrer als Adresse angegeben hatte.
Der Mann fuhr bis zum Ende und hielt an. »Hier müssen Sie aussteigen, Madam.«
»Danke.« Sarah ließ sich nicht aus dem hohen Wagen helfen. Sie stieg allein aus, beglich die Rechnung und legte noch ein gutes Trinkgeld dazu.
Auf dem Gesicht des Fahrers erschien ein breites Lächeln, und
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