Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
hatte Narziß dem Abt so wenig gefallen wie heute.
    Und dennoch – wie gut hatte dieser Grübler geraten, wie gut schien er in der Tat Goldmund zu kennen!
    Zum Schlusse nochmals über die heutigen Vorgänge
    befragt, sagte Narziß: »Die heftige Erschütterung, in welche Goldmund heute geraten ist, war nicht von mir beabsichtigt. Ich habe ihn daran erinnert, daß er sich selbst nicht kennt, daß er seine Kindheit vergessen hat und seine 54
    Mutter. Irgendeines meiner Worte muß ihn getroffen haben und in das Dunkel gedrungen sein, gegen das ich schon so lange kämpfe. Er war wie entgeistert, er sah mich an, als kenne er mich und sich selbst nicht mehr. Ich habe ihm oft gesagt, er schlafe, er sei nicht richtig wach. Jetzt ist er geweckt worden, daran zweifle ich nicht.«
    Er wurde entlassen, ohne Rüge, doch mit dem vorläufigen Verbot, den Kranken aufzusuchen.
    Inzwischen hatte Pater Anselm den Ohnmächtigen auf ein Bett legen lassen und saß bei ihm. Ihn durch gewaltsame Mittel ins Bewußtsein zurückzuschrecken, schien ihm nicht geraten. Der Junge sah allzu schlecht aus. Wohlwollend blickte der alte Mann aus dem faltigen guten Gesicht auf den Jüngling. Vorläufig untersuchte er den Puls und horchte am Herzen. Gewiß, dachte er, hatte der Bursche irgend etwas Unmögliches gegessen, einen Haufen Sauer-klee oder sonst etwas Dummes, man kannte das ja. Die Zunge konnte er nicht sehen. Er mochte Goldmund gern, aber seinen Freund, diesen frühreifen allzu jungen Lehrer, konnte er nicht leiden. Da hatte man es nun. Sicher war Narziß an dieser dummen Geschichte mitschuldig. Was brauchte auch so ein frischer, helläugiger Junge, so ein liebes Naturkind sich ausgerechnet mit diesem hochmütigen Gelehrten einzulassen, mit diesem eitlen Grammatiker, dem sein Griechisch wichtiger war als alles Lebendige auf der Welt!
    Als nach langer Zeit die Tür sich öffnete und der Abt hereinkam, saß der Pater noch immer und starrte in das Gesicht des Ohnmächtigen. Was war das für ein liebes junges, argloses Gesicht, und da saß man nun daneben, sollte helfen und würde es wahrscheinlich nicht können. Gewiß, die Ursache konnte eine Kolik sein, er würde Glühwein verordnen, vielleicht Rhabarber. Aber je länger er in das grünbleiche, verzogene Gesicht blickte, desto mehr neigte 55
    sich sein Verdacht nach einer anderen Seite, einer bedenk-licheren. Pater Anselm hatte Erfahrung. Mehrmals im Laufe seines langen Lebens hatte er Besessene gesehen. Er zö-
    gerte damit, den Verdacht auch nur vor sich selbst auszusprechen. Er würde warten und beobachten. Aber, dachte er grimmig, wenn dieser arme Junge wirklich verhext worden war, so würde man den Schuldigen wohl nicht weit zu suchen haben, und es sollte ihm nicht gut gehen.
    Der Abt trat näher, sah sich den Kranken an, hob ihm sachte ein Augenlid etwas in die Höhe.
    »Kann man ihn erwecken?« fragte er.
    »Ich möchte noch warten. Das Herz ist gesund. Wir dürfen niemand zu ihm lassen.«
    »Ist Gefahr?«
    »Ich glaube nicht. Nirgends Verletzungen, keine Spuren von Schlag oder Sturz. Er ist ohnmächtig, vielleicht war es eine Kolik. Bei sehr starken Schmerzen verliert man das Bewußtsein. Wenn es eine Vergiftung wäre, käme Fieber.
    Nein, er wird wieder aufwachen und am Leben bleiben.«
    »Kann es nicht vom Gemüt her gekommen sein?«
    »Ich will es nicht verneinen. Weiß man denn nichts? Hat er vielleicht einen starken Schrecken gehabt? Eine Todes-nachricht? Einen heftigen Streit, eine Beleidigung? Dann wäre alles erklärt.«
    »Wir wissen es nicht. Traget Sorge, daß niemand zu ihm gelassen wird. Ich bitte Euch, bei ihm zu bleiben, bis er erwacht. Sollte es schlimm werden, so rufet mich, auch wenn es in der Nacht wäre.«
    Vor dem Weggehen beugte der Greis sich nochmals
    über den Kranken; er dachte an dessen Vater und dachte an den Tag, an dem dieser hübsche heitere Blondkopf ihm zugebracht worden war, und wie sie alle ihn gleich gern gehabt hatten. Auch er hatte ihn gern gesehen. Aber darin hatte Narziß wirklich recht: in nichts erinnerte dieser Kna-56
    be an seinen Vater! Ach, wieviel Sorgen überall, wie unzulänglich war all unser Tun! Hatte er nicht vielleicht an diesem armen Knaben etwas versäumt? Hatte er den richtigen Beichtvater gehabt? War es in Ordnung, daß niemand im Hause über diesen Schüler so gut Bescheid wußte wie Narziß? Konnte denn der ihm helfen, der noch im Noviziat stand, der weder Bruder war noch die Weihen hatte und dessen Gedanken und Anschauungen

Weitere Kostenlose Bücher