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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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dreiste Mann recht, vielleicht würde Goldmund nie ganz seinesgleichen werden, nie ganz ein Vagant, und eines Tages in irgendwelche Mauern zurückkriechen Heimatlos und ziellos aber würde er dennoch bleiben, nie würde er sich wirklich geschützt und sicher fühlen, immer würde die Welt rätselhaft schön und rätselhaft unheimlich ihn umgeben, immer wieder wurde er dieser Stille lauschen müssen, in deren Mitte das schlagende Herz so bang und vergänglich war. Wenige 143
    Sterne waren zu sehen, es war windstill, in der Höhe aber schien das Gewölk bewegt.
    Nach einer langen Zeit wurde Viktor wach – er hatte ihn nicht wecken mögen – und rief ihn an.
    »Komm«, rief er, »du mußt nun schlafen, sonst bist du morgen nichts wert.«
    Goldmund gehorchte, er legte sich aufs Lager und
    schloß die Augen. Müde war er genug, doch schlief er nicht, Gedanken hielten ihn wach, und außer den Gedanken ein Gefühl, das er sich selbst nicht eingestand, ein Ge-fühl von Bangigkeit und Mißtrauen, das sich auf seinen Kameraden bezog. Unbegreiflich war ihm jetzt, daß er diesem derben, laut lachenden Menschen, diesem Witzbold und frechen Bettler von Lydia hatte erzählen können! Er war böse auf ihn und auf sich selber, und sorgenvoll sann er über die beste Art und Gelegenheit nach, sich wieder von ihm zu trennen.
    Er mußte aber doch in einen halben Schlaf gesunken sein, denn er erschrak und war überrascht, als er Viktors Hände an sich spürte, wie sie seine Kleider vorsichtig ab-tasteten. In der einen Tasche hatte er sein Messer, in der andern den Dukaten, beides würde Viktor unfehlbar stehlen, wenn er es fände. Er stellte sich schlafend, drehte sich wie schlaftrunken hin und her, rührte die Arme, und Viktor zog sich zurück. Goldmund war sehr böse auf ihn, er beschloß, sich morgen von ihm zu trennen.
    Als aber, nach einer Stunde vielleicht, Viktor sich von neuem über ihn beugte und mit dem Absuchen begann, wurde Goldmund kalt vor Wut. Ohne sich zu rühren, tat er die Augen auf und sagte verächtlich: »Geh jetzt, es gibt hier nichts zu stehlen.«
    Im Schrecken über den Anruf griff der Dieb zu und drückte die Hände um Goldmunds Hals Als der sich wehrte und aufbäumte, drückte der andere fester zu und kniete 144
    ihm zugleich auf die Brust. Goldmund, als er keinen Atem mehr bekam, riß und zuckte heftig mit dem ganzen Leibe, und als er nicht loskam, durchfuhr ihn plötzlich die Todesangst und machte ihn klug und hellsinnig. Er brachte die Hand in die Tasche, brachte, während der andere weiterwürgte, das kleine Jagdmesser heraus und stieß plötzlich und blindlings mehrere Male in den über ihm Knienden hinein. Nach einem Augenblick ließen Viktors Hände locker, es gab Luft, tief und wild einatmend kostete Goldmund sein gerettetes Leben. Nun versuchte er sich aufzu-richten, da sank über ihm der lange Kamerad schlaff und weich mit einem furchtbaren Stöhnen zusammen, und sein Blut lief über Goldmunds Gesicht. Erst jetzt vermochte er hochzukommen Da sah er im grauen Nachtschein den Langen zusammengefallen liegen, als er nach ihm griff, langte er in lauter Blut. Er hob ihm den Kopf, der fiel schwer und weich wie ein Sack zurück. Aus seiner Brust und seinem Hals troff das Blut immerzu, aus seinem Munde floß in irren, schon schwächer werdenden Seufzern das Leben fort.
    »Nun habe ich einen Menschen umgebracht«, dachte
    Goldmund und dachte es immer wieder, wahrend er über dem Sterbenden kniete und auf seinem Gesicht die Blässe sich verbreiten sah. »Liebe Mutter Gottes, nun habe ich getötet«, hörte er sich selber sprechen
    Plötzlich wurde es ihm unerträglich, hier zu bleiben. Er hob sein Messer auf, wischte es an dem Wollezeug ab, das der andere trug und das von Lydias Händen für ihren Liebsten gestrickt worden war, er steckte das Messer in die hölzerne Scheide und in die Tasche zurück, sprang auf und lief aus allen Kräften davon.
    Schwer lag ihm der Tod des lustigen Vaganten auf der Seele, mit Schaudern wusch er, als es Tag wurde, mit Schnee all das Blut von sich, das er vergossen hatte, und 145
    irrte noch einen Tag und eine Nacht ziellos und beängstigt umher. Es war die Not des Leibes, die ihn endlich aufrüttelte und seiner angstvollen Reue ein Ende machte.
    In der öden verschneiten Gegend verlaufen, ohne Obdach, ohne Weg, ohne Nahrung und beinahe ohne Schlaf, geriet er in große Bedrängnis, wie ein wildes Tier schrie der Hunger in seinem Leib, mehrmals legte er sich erschöpft mitten im

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