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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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liegenblieb, war es im selben kleinen Dorfe, wo er vor einigen Tagen den fahrenden Schüler getroffen, wo er nachts über der gebärenden Frau den Kienspan gehalten hatte. Da blieb er liegen, und die Leute liefen her und standen um ihn herum und schwatzten, er hörte nichts mehr. Die Frau, deren Liebe er damals genossen, erkannte ihn und erschrak über seinen Anblick, sie erbarmte sich, sie ließ ihren Mann schelten und schleppte den Halbtoten in den Stall.
    Es dauerte nicht lange, bis Goldmund wieder auf seinen Beinen stand und wandern konnte. Von der Stallwärme, vom Schlaf und von der Ziegenmilch, die das Weib ihm zu trinken gab, kam er wieder zu sich und zu Kräften, nur war alles Jüngsterlebte zurückgerückt, als wäre viel Zeit seitdem verflossen. Der Marsch mit Viktor, die kalte bange Winternacht unter jenen Tannen, der schreckliche Kampf 148
    auf dem Lager, das schreckliche Sterben des Kameraden, die Tage und Nächte des Frierens, des Hungerns und Verirrtseins, das alles war Vergangenheit geworden, beinahe hätte er es vergessen, aber vergessen war es doch nicht, nur überstanden, nur vorübergegangen. Etwas blieb zurück, nicht auszusprechen, etwas Schreckliches und auch Wertvolles, etwas Versunkenes und doch nie zu Vergessendes, eine Erfahrung, ein Geschmack auf der Zunge, ein Ring ums Herz. In kaum zwei Jahren hatte er Lust und Schmerzen des heimatlosen Lebens wohl bis zum Grunde kennengelernt: das Alleinsein, die Freiheit, das Lauschen auf Wald und Getier, das schweifende treulose Lieben, die bittere tödliche Not. Tage war er im sommerlichen Gefild zu Gast gewesen, Tage und Wochen im Walde, Tage im Schnee, Tage in Todesangst und Todesnähe, und von allem das Stärkste, das Seltsamste war gewesen, sich gegen den Tod zu wehren, sich klein und elend und bedroht zu wissen und dennoch im letzten verzweifelten Kampf gegen den Tod diese schöne, schreckliche Kraft und Zähigkeit des Lebens in sich zu fühlen. Das klang nach, das blieb ihm ins Herz geschrieben, so wie die Gebärden und Mienen der Wollust, welche denen der Gebärenden und Sterbenden so ähnlich waren. Wie neulich die Gebärende geschrien und das Gesicht verzogen hatte, wie neulich der Kamerad Viktor zusammengesunken war und sein Blut so still und schnell verströmt hatte! Oh, und er selbst, wie hatte er in den Hungertagen den Tod rund um sich lauern gespürt, wie weh hatte der Hunger getan, und wie hatte er gefroren, gefroren! Und wie hatte er gekämpft, wie hatte er dem Tod auf die Nase gehauen, mit welcher Todesangst und mit welcher grimmigen Wollust hatte er sich gewehrt! Viel mehr als dieses, so wollte ihm scheinen, gab es eigentlich nicht zu erleben. Mit Narziß hätte man vielleicht darüber sprechen können, sonst mit niemandem.

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    Als Goldmund auf seinem Streulager im Stall zum
    erstenmal wieder richtig zu sich gekommen war, hatte er den Dukaten in seiner Tasche vermißt. Sollte er ihn auf dem schrecklichen, halb bewußtlos durchtaumelten
    Marsch des letzten Hungertages verloren haben? Lange grübelte er darüber nach. Der Dukaten war ihm lieb gewesen, er mochte ihn nicht verloren geben. Geld zwar bedeutete ihm wenig, er kannte kaum seinen Wert. Aber dies Goldstück war ihm aus zweierlei Gründen bedeutsam geworden. Es war das einzige Geschenk Lydias, das ihm geblieben war, denn die Wolljacke lag ja mit Viktor im Walde und war von dessen Blut durchtränkt. Und dann war es ja vor allem die Goldmünze gewesen, deren Entwendung er nicht dulden wollte, ihretwegen hatte er sich gegen Viktor gewehrt, hatte ihn ihretwegen in der Not umgebracht.
    Wenn der Dukaten nun verloren war, so war gewisserma-
    ßen das ganze Erlebnis jener grauenvollen Nacht unsinnig und entwertet. Nachdem er lange nachgedacht, hatte er die Bauernfrau ins Vertrauen gezogen.
    »Christine«, flüsterte er ihr zu, »ich hatte ein Goldstück in meiner Tasche, und nun ist es nicht mehr da.«
    »So, hast du es gemerkt?« fragte sie, mit einem merkwürdig liebevollen und zugleich listig schlauen Lächeln, das ihn so entzückte, daß er trotz seiner Schwäche die Arme um sie legte.
    »Was bist du für ein sonderbarer Bub«, sagte sie zärtlich, »so klug und fein und dabei so dumm! Läuft man denn mit einem losen Dukaten in der offenen Tasche in der Welt herum? O du kindischer Bub, du süßer kleiner Narr! Dein Goldstück hab ich gefunden, gleich als ich dich ins Stroh legte.«
    »Hast du? Und wo ist es jetzt?«
    »Such es«, lachte sie und ließ ihn wirklich eine ganze Weile

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