Narziss Und Goldmund
seinen schönen, überlegen klugen Lehrer. Aber Goldmund war schüchtern; er fand keine andere Weise, um Narziß zu werben, als daß er sich bis zur Übermüdung bemühte, ein aufmerksamer und gelehriger Schüler zu sein. Und nicht die Schüchternheit allein hielt ihn zurück. Es hielt ihn auch zurück ein Gefühl dafür, daß Narziß eine Gefahr für ihn sei. Er konnte nicht den guten demütigen Abt zum Ideal und Vorbild haben und zugleich den überklugen, gelehrten, scharfgeistigen Narziß. Und dennoch strebte er mit allen Seelenkräften seiner Jugend beiden Idealen nach, den unvereinbaren. Oft machte ihn das leiden. Manchmal in den ersten Monaten seiner Schülerzeit fühlte Goldmund sich so im Herzen verwirrt und hin und her gerissen, daß er stark in Versuchung kam, davonzulaufen oder im Umgang mit den Kameraden seine Not und seinen inneren Zorn auszulassen. Oft wurde er, der Gutmütige, auf irgendeine kleine Hänselei oder Schülerfrechheit hin urplötzlich so aufflammend wild und böse, daß er nur mit äußerster Anstrengung sich halten und sich, mit geschlossenen Augen und leichenblaß, schweigend abwenden konnte. Dann suchte er in der Stal-lung das Pferd Bleß auf, lehnte den Kopf an seinen Hals, küßte es, weinte bei ihm. Und allmählich nahm sein Leiden zu und wurde bemerkbar. Seine Wangen wurden
schmal, sein Blick erloschen, sein von allen geliebtes Lachen selten geworden. Er selbst wußte nicht, wie es um ihn stehe. Es war sein ehrlicher Wunsch und Wille, ein guter 20
Schüler zu sein, bald ins Noviziat aufgenommen und dann ein frommer, stiller Bruder der Patres zu werden; er glaubte daran, daß alle seine Kräfte und Gaben diesem frommen sanften Ziele zustrebten, er wußte nichts von anderen Strebungen. Wie seltsam und traurig war es ihm darum, sehen zu müssen, daß dies einfache und schöne Ziel so schwer zu erreichen sei. Wie entmutigt und befremdet nahm er zuweilen tadelnswerte Neigungen und Zustände an sich wahr: Zerstreutheit und Widerwillen beim Lernen, Träumen und Phantasieren oder Schläfrigkeit während der Lektionen, Auflehnung und Abneigung gegen den Lateinlehrer, Reizbarkeit und zornige Ungeduld gegen die Mitschüler. Und das Verwirrendste war dies, daß seine Liebe zu Narziß sich so schlecht mit seiner Liebe zum Abt Daniel vertragen wollte. Dabei glaubte er manchmal mit innerster Gewißheit zu spüren, daß auch Narziß ihn liebe, daß er an ihm teilnehme und auf ihn warte.
Viel mehr, als der Knabe ahnte, waren Narzissens Gedanken mit ihm beschäftigt. Er wünschte sich diesen hübschen, hellen, lieben Jungen zum Freunde, er ahnte in ihm seinen Gegenpol und seine Ergänzung, er hätte ihn an sich nehmen mögen, ihn führen, aufklären, steigern und zur Blüte bringen. Aber er hielt sich zurück. Er tat es aus vielen Beweggründen, und sie waren ihm beinahe alle bewußt.
Vor allem band und hemmte ihn der Abscheu, den er gegen jene nicht seltenen Lehrer und Mönche fühlte, welche sich in Schüler oder Novizen verliebten. Oft genug hatte er selbst mit Widerwillen die begehrenden Augen älterer Männer auf sich ruhen gefühlt, oft genug war er ihren Freundlichkeiten und Hätscheleien mit stummer Abwehr begegnet. Nun verstand er sie besser – auch er sah eine Verlockung darin, den hübschen Goldmund liebzuhaben, sein holdes Lachen hervorzurufen, mit zärtlicher Hand durch sein hellblondes Haar zu streichen. Aber nie würde 21
er das tun, niemals. Außerdem war er als Lehrgehilfe, der im Rang eines Lehrers stand, ohne doch dessen Amt und Autorität zu haben, an besondere Vorsicht und Wachsam-keit gewöhnt. Er war daran gewöhnt, den um wenige Jahre Jüngeren gegenüberzustehen, als sei er zwanzig Jahre älter, er war daran gewöhnt, sich jede Bevorzugung eines Schü-
lers streng zu verbieten, sich gegen jeden ihm widerwärtigen Schüler zu besonderer Gerechtigkeit und Fürsorge zu zwingen. Sein Dienst war ein Dienst am Geiste, ihm war sein strenges Leben gewidmet, und nur heimlich, in seinen unbewachtesten Augenblicken, erlaubte er sich den Genuß des Hochmuts, des Besserwissens und Klügerseins. Nein, mochte die Freundschaft mit Goldmund noch so verlockend sein, sie war eine Gefahr, und den Kern seines Lebens durfte er von ihr nicht berühren lassen. Der Kern und Sinn seines Lebens war der Dienst am Geist, der Dienst am Wort, war das stille, überlegene, auf eigenen Nutzen ver-zichtende Führen seiner Schüler – und nicht nur seiner Schüler – zu hohen geistigen Zielen.
Ein
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