Narziss und Goldmund
erlosch. Mit geschlossenen Augen lag er, das Gesicht auf der Brust des Weibes. Es war kein Wort gesprochen worden. Das Weib hielt stille, streichelte leise sein Haar, ließ ihn langsam zu sich kommen. Endlich tat er die Augen auf.
»Du«, sagte er. »Du! Wer bist du denn?«
»Ich bin Lise«, sagte sie.
»Lise«, sprach er nach, den Namen kostend. »Lise, du bist lieb.«
Sie brachte ihren Mund nahe an sein Ohr und flüsterte hinein: »Du, ist es das erstemal gewesen? Hast du vor mir noch keine liebgehabt?«
Er schüttelte den Kopf. Dann plötzlich richtete er sich auf und blickte um sich, übers Feld und an den Himmel.
»Oh«, rief er, »die Sonne ist schon ganz tief. Ich muß zu rück.« – »Wohin denn?«
»Ins Kloster, zum Pater Anselm.«
»Nach Mariabronn? Da gehörst du hin? Willst du denn nicht noch bei mir bleiben?«
»Ich möchte gerne.«
»So bleib doch!«
»Nein, es wäre unrecht. Ich muß auch noch mehr von dem Kraut sammeln.«
»Bist du denn im Kloster?«
»Ja, ich bin Schüler. Aber ich bleibe nicht mehr dort.
Kann ich zu dir kommen, Lise? Wo wohnst du denn, wo bist du zu Haus?«
»Ich wohne nirgends, mein Schatz. Willst du mir aber nicht deinen Namen sagen? – So, Goldmund heißest du?
Gib mir noch einen Kuß, Goldmündchen, dann kannst du ja gehen.«
»Du wohnst nirgends? Wo schläfst du denn?«
»Wenn du willst, mit dir im Wald oder auf dem Heu.
Kommst du heut nacht?«
»O ja. Wohin? Wo finde ich dich?«
»Kannst du schreien wie ein Käuzchen?«
»Ich habe es nie probiert.«
»Probiere es.«
Er versuchte es. Sie lachte und war zufrieden.
»Dann komm heut nacht aus dem Kloster und schreie wie ein Käuzchen, ich bin in der Nähe. Gefalle ich dir denn, Goldmündlein, mein Kindlein?«
»Ach, du gefällst mir sehr, Lise. Ich komme. Behüt dich Gott, jetzt muß ich weiter.«
Auf dampfendem Pferd kam Goldmund in der Dämmerung ins Kloster zurück und war froh, daß er den Pater Anselm sehr beschäftigt fand. Ein Bruder hatte sich barfuß im Bach vergnügt und sich dabei einen Scherben in den Fuß getreten.
Jetzt galt es, Narziß aufzu finden. Er fragte einen der die nenden Brüder, die im Re fektorium aufwarteten. Nein, sagten sie, Narziß käme nicht zum Nachtmahl, er habe Fasttag und werde jetzt woh l schlafen, da er nachts Vigili en halte. Goldmund rannte. Seines Freundes Schlafstätte während der langen Exerzitien war eine der Büßerzellen im innern Kloster. Ohne Besinnen lief er hin. Er horchte an der Tür, nichts war zu hören. Leise trat er ein. Daß es streng verboten war, kam jetzt nicht in Betracht.
Auf der sehmalen Pritsche lag Narziß, in der Dämmerung glich er einem Toten, wie er starr mit bleichem, spit zem Gesicht auf dem Rücken lag, die Hände über der Brust gekreuzt. Er hatte aber die Augen offen und schlief nicht.
Stumm blickte er Goldmund an, ohne Vorwurf, doch ohne sich zu rühren und sichtli ch so in einer Versunkenheit be fangen, so in einer andern Zeit und Welt gegenwärtig, daß er Mühe hatte, den Freund zu erkennen und seine Worte zu verstehen.
»Narziß! Verzeih, verzeih, Lieber, daß ich dich störe, es geschieht nicht aus Mutwillen. Ich weiß, daß du jetzt eigentlich nicht mit mir sprechen darfst, aber tue es dennoch, ich bitte dich sehr darum.«
Narziß besann sich, einen Augenblick heftig blinzelnd, als gebe er sich Mühe, wach zu werden.
»Ist es notwendig?« fragte er mit erloschener Stimme.
»Ja, es ist notwendig. Ich komme, um von dir Abschied zu nehmen.«
»Dann ist es notwendig. Du sollst nicht vergebens gekommen sein. Komm, setze dich zu mir. Eine Viertelstunde ist Zeit, dann beginnt die erste Vigilie.«
Er hatte sich aufgerichtet und saß hager auf dem nackten Schlafbrett; Goldmund setzte sich neben ihn.
»Verzeih nur!« sagte er schuldbewußt. Die Zelle, die kahle Pritsche, Na rzissens überwachtes und überan strengtes Gesicht, sein halb abwesender Blick, alles zeigte ihm deutlich, wie sehr er hier störe.
»Nichts zu verzeihen. Nimm auf mich keine Rücksicht, mir fehlt nichts. Du willst Abschied nehmen, sagst du? Du gehst also fort?«
»Ich gehe noch heut. Ach, ich kann es dir nicht erzählen!
Es ist plötzlich alles zur Entscheidung gekommen.«
»Ist dein Vater da oder Botschaft von ihm?« »Nein, nichts. Das Leben selber ist zu mir gekommen. Ich gehe fort, ohne Vater, ohne Erlaubnis. Ich mache dir Schande, du, ich laufe fort.«
Narziß blickte auf seine langen weißen Finger nieder, dünn und gespenstisch k amen sie
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