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Narziss und Goldmund

Titel: Narziss und Goldmund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Worte, die Narziß ihm damals gesagt, hörte er jetzt deutlich wieder:
    »Du schläfst an der Brust der Mutter, ich wache in der Wüste. Deine Träume sind von Mädchen, meine von Jünglingen.«
    Einen Augenblick zog sein Herz sich frierend zusammen, schrecklich allein stand er da in der Nacht. Hinter ihm lag das Kloster, eine Scheinheimat nur, aber doch eine geliebte und langgewohnte.
    Zugleich aber fühlte er das andere: daß jetzt Narziß nicht mehr sein mahnender und besserwissender Führer und Wecker war. Heute hatte er, so fühlte er, ein Land betreten, in dem er die Wege allein fand, in dem kein Narziß ihn mehr führen konnte. Er war froh, daß ihm dies bewußt wurde; es war ihm drückend und beschämend gewesen, so auf die Zeit seiner Abhängigkeit zurückzubli cken. Jetzt war er sehend und war kein Kind und Schüler mehr. Es war gut, das zu wissen. Aber dennoch – wie schwer war es, Abschied zu nehmen! Ihn dort drüben in der Kirche knien zu wissen, ihm nichts geben, nicht helfen, nichts sein zu können! Und nun für lange Zeit, vielleicht für immer, von ihm getrennt zu sein, nichts von ihm zu wissen, seine Stimme nicht mehr zu hören, sein edles Auge nicht mehr zu sehen!
    Er riß sich los und folgte dem steinigen Sträßchen. Als er einhundert Schritte von den Klostermauern weg war, blieb er stehen, schöpfte Atem und stieß, so gut er konnte, den Eulenschrei aus. Ein gleicher Eulenschrei antwortete, bachabwärts, in der Ferne.
    »Wie die Tiere schreien wir nacheinander«, mußte er denken und erinnerte sich der Liebesstunde am Nachmittag; erst jetzt kam es ihm zum Bewußtsein, daß zwischen ihm und Lise erst ganz zuletzt, am Ende der Liebkosungen, Worte gewechselt worden waren, und auch da nur wenige und belanglose! Wie lange Gespräche hatte er mit Narziß gehabt! Nun aber, so schien es, war er in eine Welt eingetreten, wo man nicht sp rach, wo man einander mit Eulen rufen lockte, wo Worte keine Bedeutung hatten. Er war damit einverstanden, er hatte heut kein Bedürfnis mehr nach Worten oder Gedanken, nur nach Lise, nur nach diesem wortlosen, blinden, stummen Fühlen und Wühlen, nach diesem seufzenden Hinschmelzen.
    Lise war da, schon kam sie ihm aus dem Walde entgegen. Er streckte die Hände aus, um sie zu fühlen, umfaßte mit zärtlich tastenden Händen ihren Kopf, ihr Haar, ihren Hals und Nacken, ihren schlanken Leib und die festen Hüften. Einen Arm um sie geschlungen, ging er mit ihr weiter, ohne zu sprechen, ohne zu fragen: wohin? Sicher ging sie in den näch tlichen Wald, er hatte Mühe mit zukommen, wie ein Fuchs oder Marder schien sie mit Nachtaugen zu sehen, ging ohne anzustoßen, ohne zu stolpern. Er ließ sich führen, in die Nacht, in den Wald, in das blinde geheimnisvolle Land ohne Worte, ohne Gedanken.
    Er dachte nicht mehr, auch nicht an das verlassene Kloster, auch nicht an Narziß.
    Stumm liefen sie eine finstere Waldstrecke, zuweilen auf weichem, polstrigem M oos, zuweilen auf harten Wurzel rippen, zuweilen war zwischen spärlichen hohen Baum kronen lichter Himmel über ihnen, zuweilen war es völlig finster; Sträucher schlugen ihm ins Gesicht, B rombeerran ken hielten ihn am Gewänd e fest. Überall wußte sie Be scheid und fand sich durch, selten blieb sie stehen, selten zögerte sie. Nach einer langen Weile kamen sie zwischen einzelnen, weit voneinander stehenden Kiefern an, weithin lag der blasse Nachthimmel offen, der Wald war zu Ende, ein Wiesental nahm sie auf, süß duftete es nach Heu.
    Sie wateten durch einen kleinen, lautlos rinnenden Bach, hier im Freien war es noch stiller als im Walde: kein rau schendes Gesträuch, kein aufschnellendes Nachtgetier, kein Knacken von Dürrholz mehr.
    Bei einem großen Heuhaufen machte Lise halt.
    »Hier bleiben wir«, sagte sie.
    Sie setzten sich beide ins Heu, erst einmal aufatmend und die Rast genießend, beide etwas ermüdet. Sie streckten sich, hörten der Stille zu, fühlten ihre Stirnen trocknen und ihre Gesichter allmählich kühl werden. Goldmund kauerte in angenehmer Müdigkeit, zog spielend die Knie an und streckte sie wieder, sog Nacht und Heuduft in langen Atemzügen ein und dachte weder zurück noch an die Zukunft. Langsam nur ließ er sich vom Duft und der Wärme seiner Geliebten anziehen und bezaubern, erwiderte je und je das Streicheln ihrer Hände und fühlte beglückt, wie sie neben ihm allmählich zu erglühen begann und sich näher und näher zu ihm schob.
    Nein, hier waren weder Worte noch Gedanken

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