Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Er hat immer behauptet, der Schatz der Nazis liege unter dem großen Turm, da hat er drauf bestanden bis ans Ende seiner Tage, wisst ihr. Er hat gesagt, er hat gelauscht bei den feinen Herren. Dass man alles von Wert vor den Russen gerettet hat, haben sie gesagt in dem Gespräch, und dass man alles hierher nach Crailsfelden geschafft hat. Und mein Großvater war ganz sicher, dass nie mehr abgeholt wurde, was man hier versteckt hat. Der hat diese Burg Zeit seines Lebens beobachtet und er hat in den Stollen herumgeschnüffelt, wann auch immer sich die Gelegenheit dazu bot. Und jetzt ...«
    Der Wirt atmete nach seinem Redeschwall tief ein und aus und schlug auf einmal einen derart ernsthaften und entschlossenen Tonfall ein, dass ich mir nicht sicher war, ob ich ihn als bedrohlich oder lächerlich empfinden sollte.
    »Jetzt bin ich hier, um mein Erbe zu holen«, schloss er mit fester Stimme, ließ einige Sekunden des Schweigens verstreichen, steckte die Pläne zurück in die Mappe und schließlich wieder in den Hosenbund und nahm Ellen die Taschenlampe ab. Dann bedeutete er mir, als Erster durch den Durchbruch zu steigen, dicht gefolgt von Judith und Ellen.
    Erst als Judith mich auf der anderen Seite des Schuttberges energisch gegen die Schulter stieß und mir einen verärgerten und enttäuschten Blick zuwarf, bemerkte ich, dass ich eine weitere Gelegenheit verpasst hatte, Carl zu überwältigen, während er sich noch mühsamer und ungeschickter über den Geröllhügel kämpfte als Ellen in ihrem eher hinderlichen als nützlichen Schuhwerk vor ihm.
    Selbst die Medizinerin, die seit geraumer Weile einen regelrecht abwesenden, durch und durch erschöpften Eindruck gemacht hatte, konnte sich ein tiefes Seufzen nicht verkneifen, das mir wahrscheinlich mitteilen sollte, dass sie mich für die Flasche hielt, als welche ich mich in diesen Sekunden auch ohne ihre Reaktion fühlte. Aber als ich die Chance erkannte, hatte ich sie bereits verpasst, und der Wirt bedeutete uns energisch, auf die nächste, an den weiteren Gang, den wir durch den unfreiwillig neu geschaffenen Durchbruch erreicht hatten, angrenzende Abzweigung zuzusteuern und uns dort nach links zu wenden.
    Eine Weile, die aber völlig ausreichte, dass ich vollständig die Orientierung verlor, kommandierte Carl uns durch die Gänge des Labyrinths, das jenem Teil, von dem aus wir vor Marias Freitod einen Ausgang zu finden gehofft hatten, ungemein ähnlich sah – ich war längst nicht mehr sicher, ob wir nicht sogar schon einmal hier gewesen waren. Die Wände waren weiß verputzt, so gut wie frei von Rissen und Schimmelflecken, und die Decken gewölbt.
    Der modrige Geruch schwand nach und nach, und in unregelmäßigen Abständen grenzten stählerne Türen oder türenlose Rahmen an die Korridore. Carl blickte in keine einzige der angrenzenden Räumlichkeiten, sondern scheuchte uns wir Hühner zielstrebig vor sich her, und ich überlegte mehr als einmal, ob ich nicht einfach lossprinten und in die Dunkelheit flüchten sollte, traute mich aber nicht. Judith würde zu langsam sein, als dass ich sie mit mir zerren könnte, und ich wusste nicht, was der Wirt den beiden Frauen androhen würde, um mich zur Umkehr zu zwingen. Außerdem hatte ich schon jetzt keinen blassen Schimmer mehr, wie wir hierher gekommen waren, und würde den Weg zurück wahrscheinlich überhaupt nicht finden, schon gar nicht im Dunkeln.
    Ich verwarf die Idee wieder. Mist, ich war einfach ein gottverdammter Feigling. Aber ich konnte mir wenigstens einreden, dass ich Carl allein der beiden Frauen wegen ohne Protest gehorchte und mich nur für sie an Judiths Seite weiter im Eilschritt durch die Korridore hetzen ließ.
    Ich sah nicht viel, aber ich roch Staub und zermahlenen Stein, außerdem etwas Scharfes, das ich nicht benennen konnte – etwas Fremdes, Chemisches. Ich musste wieder an die Kupferrohre denken und an Ellens wahnwitzige Idee mit dem Paarungsexperiment. Ich maß Judith mit einem besorgten Blick. Hoffentlich war die Ärztin im Unrecht. Was auch immer hier in der Luft hing, tat einer schwangeren Frau bestimmt nicht gut.
    Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ein Kind mit Judith wenigstens ein schwacher Trost nach all dem Leid sein konnte, das wir in dieser Nacht hatten erdulden müssen. Ein gesunder Knabe. Wie wir ihn wohl nennen würden?
    Schließlich befahl der Wirt uns stehen zu bleiben und beleuchtete nacheinander mehrere Türen, die an den erstaunlich gut erhaltenen, weiß getünchten

Weitere Kostenlose Bücher