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Neobooks - Das Leben in meinem Sinn

Neobooks - Das Leben in meinem Sinn

Titel: Neobooks - Das Leben in meinem Sinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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Trotz. Sarah lässt ihre Hände, die noch immer mein Gesicht umfassen, nun sehr langsam an meinem Hals entlanggleiten und verschränkt ihre Finger schließlich erneut hinter meinem Nacken. Mit sanfter Bestimmtheit zieht sie mich zu sich herab und legt ihre Lippen an mein Ohr. Ein warmer Schauder durchfährt mich, bevor ihre Worte mein Bewusstsein fluten. »Stille Wasser sind tief«, flüstert sie. 
    ***
    Drei Stunden später sitzen wir in meinem Wagen. Die Uhr im Armaturenbrett des Mercedes zeigt zwanzig nach zwei, und Sarah ist ungewöhnlich still.
    Im Club war sie bis zuletzt gut drauf gewesen und hatte jedes Mal, wenn ich vorsichtig andachte, das Feld zu räumen, darauf bestanden, »nur noch eine Runde« geben zu dürfen. Zusammen mit Randys, Johns, Marcs und meinen Runden hatten wir insgesamt sieben. Da ich nach dem Anfangscocktail nur noch Cola getrunken habe, bin ich nun überzuckert, hellwach und habe eine Blase, die förmlich um Entleerung bettelt, aber ansonsten geht es mir blendend. Sarah hingegen hat seit dem Verlassen des Clubs kein einziges Wort mehr gesprochen.
    »Worüber denkst du nach?«, frage ich, als ich den Mercedes in ihrer Einfahrt parke und den Motor abstelle.
    Sie lächelt und schenkt mir einen kurzen Seitenblick. »Sieh mal!«, sagt sie schließlich und streckt mir ihre rechte Hand entgegen.
    »Was denn?«, frage ich mit ihrer Hand in meiner.
    »Sieh genau hin!«, fordert sie mich auf. Ich tue es, drehe ihre Hand hin und her – doch ich kann nichts Auffälliges entdecken, außer dass ihre Finger sehr lang und grazil sind. Sarah hat ausgesprochen schöne Hände. Behutsam streiche ich über ihre Handinnenfläche.
    »Die Fingerkuppe meines Ringfingers«, sagt sie auf mein Schulterzucken.
    Ich betrachte die besagte Fingerkuppe noch genauer und entdecke nun, dass sie oben nicht so rund zuläuft wie die Kuppen der anderen Finger. Sarah hat gut manikürte Fingernägel, die diesen kleinen Makel mühelos verdecken. »Oh!«, sage ich und fahre mit meinem Daumen über die abgeflachte Stelle.
    Sarah nickt. »Ich war so alt wie Josie«, beginnt sie. »Georgie, mein zweitältester Bruder, hat mich in einer Schubkarre über den Hof geschoben. Wir waren sehr schnell und hatten einen Mordsspaß. Ich hielt mich an beiden Seiten fest, und als die Schubkarre kippte, quetschte ich mir zwischen dem Rand und den Pflastersteinen einen Teil der Kuppe ab.«
    Bei der Vorstellung ziehe ich scharf die Luft zwischen meinen Zähnen ein. Die Versuchung, ihren Finger zu küssen, ist groß, doch ich widerstehe.
    »Jetzt du!«, befiehlt Sarah.
    »Hm?«
    »Eine Narbe. Zeig sie mir, und erzähl mir die Geschichte dazu.«
    Ich muss nicht lange überlegen. Meine Schwester und ich trieben uns als Kinder ständig im Freien herum, egal wo wir gerade lebten. Auf Bäume zu klettern, Klippen zu erklimmen, uns aus Seilen seltsame Schaukelkonstruktionen zu bauen – das waren die Highlights unserer Kindheit gewesen. Verletzungen blieben da nicht aus und wir waren nicht gerade zimperlich. Ich lifte mein Hemd ein kleines Stück und offenbare eine längliche Narbe unterhalb meines linken Rippenbogens. »Angelhaken«, erkläre ich, als sich Sarah zu mir herüberbeugt und im fahlen Licht der Innenbeleuchtung meines Wagens die Narbe in Augenschein nimmt. »Caro und ich haben oft geangelt, als ich noch klein war. In Italien lebten wir direkt am Meer, auf einem Berg, von dem aus hundertvierundachtzig Stufen zu einer kleinen Bucht herabführten.«
    »Wow, du hast sie gezählt?«, fragt Sarah.
    »Ich nicht, aber Caro. An diesem Morgen holte sie jedenfalls mit der Angel aus … und hatte mich am Haken. Was sie nicht davon abgehalten hat, wie eine Irre an der Rute zu ziehen.«
    »Autsch!«, macht Sarah mit verzerrtem Gesicht.
    »Jepp!«, erwidere ich mit einem Lachen, das nur Sekunden später gefriert, als ich Sarahs Fingerspitzen an meinem Bauch spüre. Die Berührung trifft mich wie ein kleiner Stromschlag – nur viel angenehmer. Sanft fährt sie auf der Narbe entlang. Ich halte die Luft an, als sich Sarah aufrichtet und mir – nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt – tief in die Augen sieht. Ihre Hand hat sie inzwischen über meinem Hemd auf meinen Bauch gelegt. Langsam gleiten Sarahs Fingerspitzen aufwärts und bleiben unmittelbar über meinem wild hämmernden Herzen liegen.
    »Und jetzt erzähl mir von dieser Narbe!«, fordert sie. »Es ist die tiefste von allen, nicht wahr?«
    Ich schlucke. Warum habe ich nicht vorher schon

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