Neobooks - Transalp 6
sondern möglichst einfach zu konsumierende Buchstaben und Bilder. Als er an der Pinnwand vorbeikam, studierte er dennoch die Zeitungsartikel, die den Umbau der Hütte, die gastgeberischen und kulinarischen Fähigkeiten des Wirtepaars und des Personals und natürlich den Weitwanderweg München–Venedig beschrieben, an dessen Verlauf die Hütte lag. »Venedig«, murmelte Plank, »o mei, das wird was werden …« Ein Artikel aus der österreichischen Boulevardzeitung
Krone
fiel aus dem Rahmen. In ihm ging es um einen Apfelbaum, den die junge Hüttenwirtin neben der Hütte gepflanzt hatte. Österreichs höchster Apfelbaum trage bereits vier Blätter, und das gute vierhundert Meter oberhalb der Baumgrenze, wo nicht einmal das alpine Nadelgehölz wie Fichte und Latsche mehr gedeihe. Neben dem Artikel hing ein Zettel von einem Block. Darunter stand mit eilig hingeworfener Handschrift:
Plank nahm den Zettel ab und trug ihn zurück in die Stube zu seinem Frühstücksplatz. Dort saß mittlerweile Stephanie Gärtner. Auch sie hatte nicht länger schlafen können. Plank zeigte ihr wortlos den Zettel.
»Wo die Pommes wachsen?«
»Wo die Pommes wachsen. Genau.«
»Geb ich mal ins Handy ein und googele?«
»Das ist Rheingold. Aber google es ruhig mal, ich will die ganze Stelle wissen. Das ist doch von unserem Bergkameraden Spindler, jede Wette. Die Schrift kenne ich mittlerweile.«
Noch bevor Gärtner die Stelle in Richard Wagners Text fand, stürmte Plank aus der Stube. Eine Minute später kam er zurück. Er hatte einen weiteren Zettel in der Hand.
»Da. Das hing draußen am Apfelbaum.«
»Am Apfelbaum? In dieser Höhe?«
Die Hüttenwirtin kam gerade an ihrem Tisch vorbei und schnappte auf, was dort gesprochen wurde.
»Eine Berühmtheit ist das kleine Bäumerl mittlerweile. Ist ein bissl ein Spleen von mir, aber ich zeig denen schon noch, dass hier heroben Obst wächst!«
»Wenn der mal richtig trägt, dann komm ich wieder und trink euren Selbstgebrannten, den ihr daraus sicher macht«, meinte Plank.
»So wies ausschaut, wird der Baum aber noch Federn lassen. Nicht wegen der Höhe oder der Kälte, sondern wegen der Leut’. Du bist der Dritte heute, der daran rumfuhrwerkt. Wenn ihn die Menschen nur in Ruhe lassen würden, würde er schon werden. Aber so …«
»Wie, der Dritte?«, wollte Plank wissen.
»Na ja, vorhin, so kurz vor sechse, da war so ein Irrer, der hat ein riesiges Frühstück verdrückt. Ganz hektisch war der. Der musste unbedingt einen Zettel an den Baum hängen. Hab ich vom Küchenfenster aus gesehen. Und keine halbe Stunde später hat irgendeine Figur – ich habs nur von hinten gesehen – einen anderen Zettel hingehängt. Ich wollt’ schon rauslaufen und den Menschen vertreiben. Aber dann war wieder irgendeine Bestellung in der Küche, und ich habs verschwitzt. Und jetzt du. Du bist der Dritte allein heute früh. Lassts doch alle mal meinen kleinen Baum in Ruh!«, schimpfte sie und verschwand wieder in der Küche.
»Der Spindler. Und wer noch?«, fasste Gärtner zusammen.
»Jemand anderer.«
»Ja, von jemand anderem ist der zweite Zettel ganz eindeutig. Eine ganz andere Schrift. So schreibt der Spindler nicht.«
Gärtner legte die beiden Zettel nebeneinander. Auf dem vom Apfelbaum stand:
»Na ja, ähnlich sind die Schriften schon. Aber nicht gleich.«
»Und eine Elf Pilger Oper – kennst du so eine?«
»Dreigroschen. Aber Elf Pilger?«
»Boah, rätseln so früh am Morgen. Da brauche ich noch eine Tasse Kaffee.« Stephanie Gärtner stemmte sich am Tisch hoch und ging zur Ausgabe hinüber.
Sie stellte sich an, plauschte mit der Hüttenwirtin über das Wetter – es sollte schlechter werden gegen Abend – und kam mit der Tasse Kaffee zum Platz zurück.
»Da will uns jemand in die falsche Richtung schicken«, sagte Plank. »Schau her, ich habs gelöst. Es ist ein Anagramm. Das können auch Amateure.«
»Beeindruckend schnell gelöst, Anselm!«
Plank ging auf das Lob nicht ein. »Und jetzt wäre es schön zu wissen, wohin uns Spindler eigentlich schicken wollte.«
»Und wer der Amateur-Rätselsteller ist. Das kriegen wir aber beides raus. Zuerst mal: Was hat Spindler wirklich geschrieben«, sagte Plank und ging zur Essensausgabe. Er rief etwas in die Küche hinein. Kurze Zeit später kam er mit fünf Notizblöcken zurück. Aus seiner Weste zog er einen Bleistift und fuhr in einem flachen Winkel mit der Mine über die obersten Blätter der Blöcke.
Beim dritten Versuch zeichnete
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