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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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PROLOG: 1990
    E s war der Wendepunkt in meinem Leben, und ich erinnere mich daran, als wäre es erst gestern gewesen.
    Die Halle glühte, honigfarben schimmerte der Holzboden im Licht der Scheinwerfer unter der Decke. Am Spielfeldrand drängten sich die Spieler um ihre Trainer, dahinter wir, die tobenden Zuschauerreihen, die es kaum erwarten konnten, dass die Auszeit zu Ende ging.
    Einige Reihen unter uns entdeckte ich den Verkäufer, einen untersetzten Typen mit Schwabbelhüfte und rotbraunem Pferdeschwanz, der ihm hinten aus der orange-schwarzen Kappe hing – das waren die Farben unseres College. »Wiener, Bratwürste!«, rief er. »Wiener, Bratwürste!«
    Ich hob die Hand. Er nickte mir zu, während er drei Reihen unter uns stehen blieb und einen anderen Kunden bediente. Ich fragte meine beiden Kumpel neben mir, ob sie was wollten.
    Bier und Bratwurst, antwortete jeder.
    »Glaube kaum, dass er Bier hat«, erwiderte ich.
    Unten kehrten die Spieler aufs Feld zurück und nahmen für die letzten Minuten der Spielhälfte ihre Positionen ein. Die Zuschauer sprangen von den Sitzen.
    Der Verkäufer gab das Wechselgeld heraus, schob sich den Metallkasten auf die Hüfte, stieg die Stufen herauf und wartete am Rand unserer Reihe.
    »Gibt es auch Bier?«, fragte einer meiner Freunde.
    »Nur Wiener und Bratwürste.«
    »Dann zwei Hotdog mit Bratwurst und einen mit Wiener«, sagte ich.
    Er nickte, öffnete den Deckel seines Kastens und fasste hinein. Ich zückte die Brieftasche und wischte die Geldscheine zur Seite, die meine Kumpel mir hinhielten. Der Verkäufer reichte mir drei Päckchen, die sich weich und warm anfühlten.
    »Wiener ist oben. Macht neun Dollar.«
    Ich gab die Bratwürste weiter und zahlte.
    Die Menge johlte, unsere Mannschaft hatte den Ball und näherte sich dem Korb. Ich wickelte den Hotdog aus, aber im Brot steckte keine Rinder-Wiener, sondern eine marmorierte, braun-weiße Bratwurst aus Schweinefleisch.
    »He, hat einer von euch meine Wiener?«, schrie ich im Lärm der Menge meinen Kumpel zu.
    Beide schüttelten den Kopf. Auch sie hatten Bratwürste.
    Ich drehte mich um und wollte dem Verkäufer schon nachrufen, ließ es dann aber sein. Welchen Grund gab es denn, die Wurst nicht zu essen?
    Überhaupt keinen .
    Wieder kam unsere Mannschaft vor den Korb, der Spieler wurde gefoult. Der Lärm nach dem Pfiff war ohrenbetäubend.
    Ich hob die Wurst an den Mund, schloss die Augen, biss ab und kaute. Mein Herz raste, während sich mein Mund mit einem süßen, rauchigen, leicht beißenden Geschmack füllte, der mir absolut bemerkenswert vorkam – was vielleicht auch daran lag, dass er mir so lange verboten gewesen war. Ich kam mir mutig und lächerlich zugleich vor. Und als ich schluckte, überkam mich eine gespenstische Ruhe.
    Ich sah zur Decke hinauf.
    Sie war noch da. Nichts deutete darauf hin, dass sie jeden Moment einstürzen würde.
    Nach dem Spiel ging ich allein über den Campus, die Lampen an den Wegen leuchteten im Nebel, weiße Blüten an einem milden Novemberabend. Ich fühlte mich lebendig. Frei, zu tun und zu lassen, was ich wollte. Richtig aufgekratzt.
    Im Wohnheim stand ich vor dem Badezimmerspiegel. Meine Schultern waren anders. Nicht eingefallen, sondern gerade. Ohne Last. Ich musterte meine Augen, und in meinem Blick sah ich, was ich fühlte: eine starke, stille Entschlossenheit.
    Ich fühlte mich als ganzer Mensch.
    In jener Nacht schlief ich tief und fest wie ein Baby in den Armen seiner Mutter. Als ich endlich den Wecker hörte, war es schon Viertel vor neun. Sonnenlicht flutete ins Zimmer. Es war Donnerstag, das hieß, in einer Viertelstunde begann Professor Edelsteins Vorlesung über die Geschichte des Islam. Ich schlüpfte in die Jeans und zuckte zusammen beim prickelnden Gefühl, das die neue Hose auf meiner Haut hinterließ. Das Wunder des vergangenen Abends entfaltete anscheinend immer noch seine Wirkung.
    Draußen war es ungewöhnlich warm und windig. Ich eilte zur Student Union hinüber, besorgte mir einen Becher Tee, lief dann, den Koran unter den Arm geklemmt, weiter zur Schirmer Hall und verschüttete dabei die heiße Flüssigkeit. Ich wollte nicht zu spät zu Edelsteins Vorlesung kommen und mir auf jeden Fall einen Platz ganz hinten sichern, nahe am Fenster, das er immer gekippt ließ, wo ich für mich sein und in aller Ruhe nachdenken konnte, wenn der klein gewachsene, charismatische Edelstein allwöchentlich das zertrümmerte, was vom Glauben meiner Kindheit noch übrig war.

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