Neptuns Tochter (Gesamtausgabe)
laut ging? Was hatte sie sich bloß dabei gedacht?
Mika fühlte sich wie knapp vor einem Herzinfarkt, da vernahm sie ein fast schüchternes Anklopfen. Sie sah, wie sich die Türklinke zaghaft nach unten bewegte, wie immer mehr Licht vom Flur ins Kaminzimmer fiel, wie dieses Licht von Timea verdeckt wurde und sie gleichermaßen umfloss wie ein wärmender Mantel.
So stellte sich Mika Timeas Erscheinen vor.
In Wahrheit klopfte Timea selbstbewusst an und trat ohne zu zögern ein. Nur das Licht war echt.
»Wieso bist du noch hier?«, fragte Timea mit verschränkten Armen.
»Ich habe den Vormittag vertrödelt«, erklärte Mika kleinlaut. »Das wollte ich nachholen.«
»Was heißt vertrödelt ?«, fragte Timea umgehend nach. Sie stand jetzt vor dem Schreibtisch und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf Mika hinunter. Fast wie an Mikas erstem Tag.
»Ähm … ich …«, stotterte Mika.
»Hast du herumgeschnüffelt?«, drang Timeas Stimme wie ein Peitschenhieb in Mikas Ohr.
Mika fuhr empor. »Herumgeschnüffelt?«, rief sie. »Hast du immer noch nicht kapiert, dass ich dir nichts Böses will?« Sie lief im Raum herum wie ein waidwundes Tier. »Du …«, fuhr sie aufgebracht fort.
»Es tut mir leid«, wurde sie von Timea unterbrochen.
Mika blieb abwartend stehen, unsicher, was als Nächstes kommen würde.
»Ständig musst du als Prellbock herhalten«, erklärte Timea, ohne Mikas fragendem Blick auszuweichen. »Ich stehe unter Druck, und du musst darunter leiden.« Nun blinzelte Timea doch. »Dabei hast du das nicht verdient«, sagte sie. »Du am allerwenigsten, weil …«
Den Rest des Satzes konnte Mika nicht mehr verstehen, weil Timea sich plötzlich umdrehte und verschwand.
Erst war Mika sprachlos, dann hoffnungsvoll und schließlich ratlos. Sie schaltete den Computer aus, verließ das Kaminzimmer, rief: »Bis morgen!«, und machte sich auf den Heimweg.
~*~*~*~
S eit Mika angefangen hatte, für Adrienn Illay zu arbeiten, hatte sie schon zahlreiche schlaflose Nächte hinter sich gebracht. Keine davon war gewesen wie diese.
Dieses kurze Blinzeln – für einen Augenblick hatte Timea wie ein scheues Reh gewirkt. Auch dieser Satz, bevor sie geflohen war. Er hatte geklungen, als würde sie etwas für Mika empfinden. Etwas, von dem sie bisher nur geträumt hatte.
Die Verletzungen und Zurückweisungen, die Mika ertragen hatte müssen – wie weggewischt durch ein Blinzeln und ein paar Worte. Sie ließen den Mond in dieser Nacht viel heller scheinen.
Da! Eine Sternschnuppe. Mika nahm diesen hellen Streif am Himmel als Zeichen für sich in Anspruch. Er bedeutete Hoffnung.
Mika ließ sich wieder zurück ins Bett fallen. Es mochte sein, dass Timea etwas für sie empfand. Das bedeutete aber nicht, dass sie das für sie empfand, was Mika sich eben von der Sternschnuppe gewünscht hatte. Bisher hatte sie ja noch nicht einmal herausgefunden, ob Timea Illay überhaupt an Frauen interessiert war.
Sie soll nicht an Frauen interessiert sein, dachte Mika trotzig. Sie soll an mir interessiert sein.
Irgendetwas war da auf jeden Fall, das hatte Mika gespürt. Was das war? Mika hatte keine Ahnung, wie bei vielem, was Timea Illay betraf. Langsam sollte ich eine Liste machen, was ich alles nicht über sie weiß. Damit ich nicht den Überblick verliere.
Schon war sie in Gedanken wieder bei Gernot Hampf.
Frustriert drehte sie sich auf den Bauch, stützt ihren Kopf auf die Hände und starrte auf den Mond. »Hey, wenn demnächst eine Rakete mit zwei arroganten Typen bei dir vorbei kommt, schick sie einfach weiter zum Mars.« Dann würde sich das Problem im Weltall auflösen.
Mika lächelte. Und ich kann mich mit Timeas Gefühlen beschäftigen. Wie gern sie das würde; sich damit beschäftigen. Stundenlang. Nächtelang … »Ach Timea«, hauchte Mika in die Nacht.
In Gedanken war Mika irgendwo und nirgends, als sie am nächsten Morgen in den Bus stieg.
»Das ist doch nicht Ihrer«, hielt jemand sie zurück.
»Wie?« Mika schaute genauer hin. Tatsächlich. »Vielen Dank«, atmete sie erleichtert aus. Das hätte ihr gerade noch gefehlt.
Der Mann, der sie gerettet hatte, feixte. »Wohl eine anstrengende Nacht gehabt?«
»Anscheinend«, erwiderte Mika. »Wo wäre ich denn gelandet, wenn Sie mich nicht aufgehalten hätten?«, fragte sie dem abfahrenden Bus hinterher.
»Am Bahnhof«, kam die sofortige Antwort.
Wie passend. Wo sie in letzter Zeit nur selbigen verstand.
Ihr Gegenüber schüttelte den Kopf. »Irgendwie
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