Enthuellung
Tagebuch Acht, Eintrag Eins
27. April 2012
Dunkelheit hüllte mich ein, eine völlige Abwesenheit von Licht, die mich innerlich zittern ließ. Nein. Es war nicht die Dunkelheit, die mich zittern ließ. Er war es. Ich spürte ihn, obwohl ich ihn nicht sah. Oh ja, ich spürte ihn. Mit jeder Pore meiner Haut, jeder Nervenzelle, die ich besaß, spürte ich ihn. Er schlich sich an. Forderte mich für sich, obwohl er mich noch nicht berührt hatte. Ich war ihm vollkommen ausgeliefert, nackt und auf Knien, in der Mitte eines weichen Wollteppichs. Enge Riemen pressten mir die Waden an die Oberschenkel, während eine weitere Fessel mir die Brust umschlang und die Arme hinter dem Rücken festhielt. Es schmerzte auf eine bittersüße, erregende Art, und auch wenn ich mich entblößt und verletzlich fühlte, hatte ich gelernt, dass diese Dinge mich auf eine Weise erregten, wie ich sie nie für möglich gehalten hätte. Unglaublich, dass ich Angst davor haben konnte, wohin er mich als Nächstes bringen würde, und dennoch vor Erregung bebte. Und ich hatte Angst, während ich in der Dunkelheit kniete. Angst davor, wie wenig Kontrolle mir über die Reaktion meines eigenen Körpers geblieben war, wie sehr er mich kontrollierte, wenn ich es nicht tat. Wie sehr ich es brauchte, dass er mich kontrollierte. Ich erkenne diesen Teil von mir nicht wieder, jetzt, während ich dies schreibe, aber wenn ich mit ihm zusammen bin, werde ich zu dem, was er von mir erwartet. Ich werde seine willige Sklavin, auch wenn ich gelernt habe, dass ich nur eine Spielfigur in seinen Spielen bin. Er hat mir nichts anderes versprochen, als mich in Besitz zu nehmen. Er wird mir niemals so gehören, wie ich ihm gehöre. Ich werde ihn niemals kontrollieren, wie er mich kontrolliert. Ich spiele nach seinen Regeln, und ich weiß vorher nie, wie sie sich verändern werden oder was oder wer Teil des neuen Spiels sein wird, zu dem unsere Begegnungen werden. Und letzte Nacht, als plötzlich ein Scheinwerfer auf mich gerichtet war, und nur auf mich, als er aus der Dunkelheit vor mich hintrat, war es der Mann, der an seiner Seite stand, der mich bis ins Mark erschütterte. Zwei Männer, davon einer, den ich nicht bei uns haben will. Er weiß es sehr wohl, und doch hat er diese Person eingeladen, sich zu beteiligen. Ich wollte Einwände erheben. Ich hätte Einwände erheben sollen. Aber dort, in diesem Raum, war ich nicht Rebecca. Ich war einfach sein. Manchmal, im Morgenlicht, wenn er mich nicht berühren kann, wenn wir voneinander getrennt sind, denke ich, ich will einfach ich sein, will wieder Rebecca sein. Nur dass ich mir nicht sicher bin, wer das ist. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich noch kenne. Wer ist Rebecca Mason?
1
In der vollkommenen Dunkelheit, die mich einhüllt, bekomme ich kaum Luft. Sie wurde von dem plötzlichen Stromausfall in der Lagerhalle verursacht, in der ich herumgestöbert habe, in der Hoffnung, Hinweise auf Rebeccas Verbleib zu finden. Ich bin mitten in einen gruseligen Horrorfilm hineingeraten, so einen, wie ich sie hasse, und ich stelle mir sofort mich selbst als das Mädchen vor, das immer genau das Falsche tut und am Ende blutverschmiert und leblos daliegt. Ich, Sara McMillan, bin eine vernünftige Person, und ich befehle mir, meine Furcht als irrational zurückzudrängen. Dies ist lediglich einer der Stromausfälle, die in San Francisco während der letzten Monate immer wieder vorkamen, und eine Maus, die über meine Füße huschen könnte, ist meine größte Sorge.
Aber denkt nicht genau das auch das Mädchen, das in den Horrorfilmen immer getötet wird? Es ist
nur
ein Stromausfall. Es ist nur eine Maus.
Es war dumm von mir, in der Nacht allein hierherzukommen – so ist es nun mal, und ich versuche, nicht dumm zu sein. Ich wusste doch aus einer früheren Begegnung, dass der Angestellte hier unheimlich ist, aber ich habe nichts darauf gegeben. Ich war einfach zu verzweifelt und brauchte das Gefühl, etwas zu tun, um Rebecca zu finden. Außerdem versuchte ich verbissen, mich von Chris’ Schweigen seit unserem SMS -Austausch heute Morgen abzulenken. Ich habe ihm gestanden, dass ich ihn vermisse. Ich fürchte, seine Reise zu der Wohltätigkeitsveranstaltung hat ihm den nötigen Abstand verschafft, um zu erkennen, dass er mich nicht vermisst. Schließlich hatte er mich in der Nacht zuvor herausgefordert, eins seiner dunkelsten Geheimnisse kennenzulernen, und ich habe genau das getan, was er prophezeit hatte – obwohl ich
Weitere Kostenlose Bücher