Nero
kam es zum Handgemenge. Julius Vindex, fieberisch erregt, wähnte sich seitens der Mitverschworenen verraten. Am Gelingen des mühsam geplanten Werkes verzweifelnd, stürzte er sich in sein Schwert, eh' noch Virginius Rufus ihn aufklären konnte.
Mit Julius Vindex starb jedoch keineswegs die hunderttausendköpfige Revolution. Im Gegenteil: sie hat aus dem Heldenblute ihres vergötterten Führers unüberwindliche Kräfte gesogen.
Näher und näher wälzen sich die begeisterten Scharen der Hauptstadt zu. Der streitbare Galba schickt bereits seine Eilboten an den Senat.
In der Begleitschaft des neuverkündeten Kaisers befindet sich eine hohe, schlanke Gestalt, das bleiche Antlitz von dunklen Locken umwallt, den Mund, der einst wonnetrunken zu lächeln oder zärtlich zu schmollen gewohnt war, fest geschlossen: Otho, der Statthalter von Lusitanien.
Er kömmt, um Nero für die unsägliche Schmach, die stumme Entsagung, den wühlenden Kummer so vieler Jahre grausam zu züchtigen.
Das ganze gequälte Land will Rache nehmen an dem weltverachtenden Staatsverderber, der seit dem Tode Poppäas auch die letzte Schranke der Selbstbeherrschung in Trümmer gelegt, der das geworden ist, was ihm die Anhänger Pisos früher schon vorgeworfen: ein Fluch des Menschengeschlechts.
Die Träger dieses zermalmenden Aufstandes fragen nicht, wie es im Hirn und Herzen des Mannes aussieht, der so maßlos gewütet hat. Sie rechnen nur mit der That, nicht mit der öden, lichtlos-verzweifelten Stimmung, aus der sie geboren wurde.
Und wahrlich, sie haben ein Recht dazu.
Fort mit dem Frevler, der nur das eigene Ich mit seinem unendlichen Wollen und Weh kennt, und zur Stillung der Qual, die ihn durchglüht, das ganze Weltall zerreiben möchte wie ein linderndes Heilkraut!
Fort mit dem götterverhaßten Dämon, der die Menschheit zertreten hat!
Rom ist in hellem Aufruhr. Die Prätorianer haben sich längst vom Goldenen Hause zurückgezogen. In zahlreichen Abteilungen streifen sie durch die Stadt, wo die Bildsäulen des Imperators unter Hohngelächter und Flüchen niedergerissen, beschimpft und besudelt werden. Selbst die sonst so getreuen Germanen sind lautlos hinweggeschlichen. Niemand will mit dem sinkenden Kaiser zu Grunde gehen. Der ungeheure Palast steht verödet. Nero, leichenblaß, weilt in dem drehbaren Göttergemach, dessen Maschinerie heute nicht arbeitet. Er hält das Schwert in der Hand, unschlüssig, ob er den Stahl wider die eigne Brust kehren, oder ob er hinabstürmen soll, um seinem wütenden Groll ein letztes Opfer zu schlachten.
Alles hat ihn verlassen. Nur Cassius, der Leibsklave, und Phaon, der Freigelassene, harren noch aus in der schrecklichen Einsamkeit. Der gewaltige Prachtbau, der noch vor kurzem die Stätte blutiger Gladiatorenkämpfe, brausender Zechgelage und schamloser, wildjauchzender Orgien gewesen, gleicht einer Grabkammer. Die Pforten, die hinaus in das Freie führen, sind abgeschlossen.
Phaon sinnt und sinnt. Er will den Gebieter retten. Er schmiedet Pläne um Pläne. Er rennt von einem Säulenhof in den andern. Umsonst. Wie soll Phaon es wagen, er, den jedermann kennt, mit Claudius Nero durch die wimmelnden Volksmassen hindurch zu flüchten? Wie gebrochen sinkt er auf eine Marmorbank und faltet die Hände im Schoß.
Der Haupteingang an der Südseite ist geöffnet. Glasigen Auges steht hier der wackere Cassius, einen Speer in der Faust, bereit, den ersten niederzustoßen, der sich da zeigen sollte.
Seltsam genug: keiner der Aufrührer wagt es, durch das Vestibulum einzudringen. In seiner Erstarrung hat Cassius gar nicht versucht, die Riegel in die eisernen Halter zu schieben. Er weiß nicht, daß die enteilenden Prätorianer, gleichsam beschämt über ihren geräuschlosen Abzug, die Thüre zertrümmert haben. Dennoch, es naht sich niemand. Der Name Nero wirkt immer noch lähmend auf die zwei Millionen erregter Menschen da draußen. Die tiefgewurzelte Scheu vor dem Cäsar scheint selbst durch die Nachricht von dem Abfall sämtlicher Truppen nicht ausgetilgt.
Plötzlich fährt Cassius empor. Einer von dieser zürnenden Schar macht eine Ausnahme. Seine bedächtigen Schritte hallen dröhnend im Ostium.
»Was willst du?« fragt ihn Cassius, die Lanze einlegend.
»Den Kaiser,« lautet die Antwort. Jetzt erkennt ihn der Sklave. Es ist Pallas, ehedem der Vertraute der Agrippina. Er hat heimlich mitgearbeitet am Sturze des Imperators. Fern in stiller Verborgenheit, in Lusitanien ist er gewesen, um Gift in die
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