Nero
der Kaiser. Bitterer Hohn sprühte ihm aus den Augen. Dann fühlte er Actes Hand, die sich sanft in die seine schob, und die Herbheit dieser qualvollen Stimmung verflog.
Nach Verlauf einer Stunde hatte man glücklich den Punkt erreicht, wo man links von der Heerstraße abbiegen und sich durch Strauchwerk und Dornengestrüpp einen Weg bahnen mußte, um die Villa des Phaon nicht vom Vestibulum her, sondern von ihrer Langseite zu erreichen. In dem verwickelten Dickicht kamen die beiden Flüchtlinge nur mit äußerster Mühe vorwärts. Endlich war man zur Stelle. Phaon und der Geheimschreiber Epaphroditus standen hier zum Empfange bereit. Sie hatten mit großer Anstrengung eine Oeffnung in die Mauer gebrochen, damit der Cäsar, unbemerkt von den Sklaven, ins Innere des Hauses gelangen könne.
Am Stamm einer Pinie glänzte im Mondenlicht eine Lache, denn es war tags vorher Regen gefallen.
Nero, von den Dornen blutig gerissen, ermattet und schier verdurstend, beugte sich nieder, schöpfte sich mit der hohlen Hand Wasser und schlürfte es gierig hinunter.
»Das ist jetzt mein Erquickungstrank!« seufzte er gramerfüllt.
Dann plötzlich zu Phaon gewandt: »Horch! Was ist das? Klang das nicht von der Straße herüber wie Hufgeschmetter?«
Epaphroditus eilte nach dem Vestibulum. Gleich danach kam er zurück.
»Herr,« sagte er, kaum noch der Sprache mächtig, »du bist verraten. Es sind die Reiter des Tigellinus, die dich verhaften sollen. Die Senatsversammlung hat dich auf den Antrag des Freigelassenen Icelus für einen Feind des Vaterlandes erklärt – und das Urteil gefällt, du seist zu bestrafen nach dem Brauche der Vorfahren.«
»Was heißt das: nach dem Brauche der Vorfahren?«
»Herr, es ist grausenhaft,« sagte Epaphroditus. »Der Verurteilte wird entkleidet, an den Pranger gestellt und zu Tode gegeißelt.«
»So sag dem Icelus, den ich nicht kenne, daß ich ihm seine Bosheit verzeihe. Wer immer durch mich gelitten: dieser Freigelassene hat ihn tausendfältig gerächt. Dem Senat aber melde meine Verachtung. Ich halte die Buben, die mir, da ich noch Herrscher war, voll elenden Sklavensinnes die Sandalen geleckt, nicht für wert, mir im letzten Augenblicke des Daseins das Blut nach der Stirne zu treiben. Phaon, ich danke dir! Und auch dir, Epaphroditus! Wacht über meinen Leichnam! Bittet den neuen Cäsar, daß er nicht ganz vergesse, wie alle menschlichen Dinge dem Wandel unterthan sind, und wie's dem Beherrscher Roms nicht geziemt, seinen besiegten Feind im Tode noch zu beschimpfen!«
Er zückte den Dolch wider sein Herz.
»Acte, du mein erstes und letztes Glück, mein Alles, leb wohl!«
Mit einem verzweifelten Aufschrei der Liebe, der Sehnsucht, der Todesangst stürzte sie auf ihn zu, um den Stoß zu verhindern. Leise seufzend glitt sie an dem Geliebten herab. Das scharfe Stilett war ihr tief in die Brust gedrungen.
Ein unbeschreiblicher Ausdruck des Schmerzes flog über Neros Angesicht.
»Acte! Acte! Was hast du gethan?« hauchte er, neben der Sterbenden niederknieend. »Bin ich vom Schicksal dazu verdammt, in der letzten Minute noch Unheil auszustreuen und Mord?«
»Es schmerzt nicht,« hauchte sie selig lächelnd. »Was wäre noch diese Welt ohne dich? Zu lange schon . . . hab' ich einsam dahin gelebt . . . trostlos einsam. Nun bin ich . . . bei dir . . . ewig . . . ewig . . .«
Er warf sich über sie her und küßte noch einmal den süßen Mund. Mit der Linken ergriff er ihre zuckende Hand; mit der Rechten drückte er sich unvermerkt den Stahl mitten ins Herz.
Jetzt klirrten hinter der Pinienhecke die Schwerter der Prätorianer. Der Centurio, der sich herniederbeugte und den Cäsar bei der Schulter berührte, hörte, daß er noch atmete.
»Schafft Verbandzeug herbei!« rief er seinen Soldaten zu.
Der sterbende Imperator hob noch einmal das Haupt.
»Zu spät!« klang es von seinen Lippen.
Zusammenbrechend sank er über die treue Brust, die bis zum letzten Augenblicke für ihn geschlagen. Er fühlte den leisen Druck einer zärtlichen Hand. Noch einmal klang es flüsternd an seinem Ohre wie einst, wonnig in allem Weh –, ein Hauch der unendlichsten Liebe, und, kaum noch hörbar, die brünstig flehenden Worte: »Gott sei uns gnädig!«
Dann war alles vorüber.
Phaon nahm seinen Mantel und legte ihn sanft über die Toten.
ebook Erstellung - Dezember 2009 - TUX
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Ende
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