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Nervenflattern

Nervenflattern

Titel: Nervenflattern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gibert
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Linie seiner Waffe in ihre Augen, und für einen Moment hatte er das Gefühl, in sie hineinsehen zu können. Ihr Gesicht wirkte gleichzeitig traurig, zornig und entschlossen. Obwohl er nur ihre Augen sehen konnte, nahm er wahr, dass ihre Körperhaltung sich veränderte. Ihr rechter Arm bewegte sich nach oben. Dann krachte der Schuss.
     

39
     
    Lenz war für den Bruchteil einer Sekunde paralysiert.
    Er hatte den Einschlag des Projektils in ihrem Kopf gesehen, hatte gesehen, wie ihr Schädel förmlich explodierte, sie nach hinten gerissen wurde und dabei gegen eine Haltestange prallte. Der Junge mit den Stöpseln im Ohr stand noch an der gleichen Stelle wie zuvor, nun allerdings mit weit aufgerissenen Augen.
    Als der Kommissar den Blick von ihr abwendete, sah er das Glasröhrchen durch die Luft fliegen. Es war etwa zwei Meter von ihm entfernt, hatte den höchsten Punkt der Flugbahn überschritten, und würde in der nächsten Sekunde auf dem Boden aufschlagen. Er ließ die rauchende Waffe fallen, stieß sich vom Boden ab und versuchte, mit einem Hechtsprung in die Nähe des Aufschlagpunktes zu gelangen. Aber Lenz war kein Fußballtorwart, für den eine solche Übung vermutlich keine Herausforderung gewesen wäre. Sein Sprung war viel zu kurz, und so lag er schon wieder auf den Knien und den Ellbogen, als er das Glas einen halben Meter neben sich in etwa 60 Zentimetern Höhe sah. Mit einer Instinktbewegung streckte er die Hand danach aus, konnte jedoch seinen Körper nicht weit genug drehen, sodass er nur den Handrücken unter das tödliche Objekt bekam. Er spürte den Aufprall, versuchte, unter das Glas zu fassen, aber es gelang ihm nicht. Dann sah er aus dem Augenwinkel, wie das Röhrchen keinen halben Meter von seinem Kopf entfernt auf dem Boden aufschlug, zerbrach, und sofort einen beißenden Geruch freisetzte.
    Erst jetzt nahm der Kommissar die gellenden Schreie im Zug wahr. Er drehte den Kopf und sah in den Wagen. Einige Fahrgäste rutschten auf den Knien zu den Türen, andere rannten und schlugen dabei wild um sich. Lenz versuchte, nicht zu atmen, aber weil sein Herz noch immer raste, war es ihm unmöglich. Mit hochgebeugtem Oberkörper wollte er sich die Jacke vom Körper reißen, um damit die größer werdende Lache auf dem Boden wenigstens notdürftig abzudecken, verharrte dann aber mitten in der Bewegung und musste noch einmal hinsehen, um wirklich überzeugt zu sein. Die eine Hälfte des Glases war zerbrochen und hatte ihren Inhalt auf den Boden ergossen, die andere war jedoch unversehrt. Zwischen dem Glas und der Flüssigkeit war deutlich eine Luftblase zu erkennen.
    Lenz blickte sich noch einmal um. Außer ihm und der Toten, die auf dem Rücken lag, befand sich niemand mehr in der Straßenbahn. Alle anderen Fahrgäste waren aus dem Wagen geflüchtet.
    Auf allen vieren kroch er keuchend zur nächsten Tür und ließ sich hinaus auf das Pflaster der Fußgängerzone fallen. Dort sog er, so tief er konnte, die warme Frühlingsluft in seine Lungen.
    »Keine Bewegung! Liegenbleiben und die Arme hinter den Kopf!«, forderte eine Stimme ihn auf.
    Sein rechter Arm wurde rüde nach hinten gerissen, während er von einem Fuß im Rücken auf den Boden gepresst wurde. Er versuchte, sich loszureißen, aber dadurch wurde der Druck nur stärker.
    »Ich bin ein Kollege«, röchelte er. »Ein Kollege!!!«
    Eine Hand griff in sein Haar und zog ihm den Kopf nach hinten. Der Kommissar schrie auf.
    »Ach du Scheiße«, hörte er die Stimme über sich verunsichert sagen, »das ist der Lenz.«
    »Richtig«, murmelte er kraftlos.
    Der Druck im Rücken ließ nach und sein Arm wurde freigegeben. Er drehte sich vorsichtig um und sah in die Gesichter zweier Schutzpolizisten.
    »Was ist denn hier los gewesen, Herr Kommissar? Haben Sie die Frau da in der Bahn erschossen?«
    Lenz hatte keine Lust, ihre Fragen zu beantworten.
    »Räumen Sie den Zug, da darf niemand hinein. Und die Türen müssen unbedingt geschlossen werden, sofort.«
    Er hustete.
    »Die gesamte Innenstadt muss geräumt werden, auch sofort. Ich will im Umkreis von einem Kilometer keinen Menschen mehr hier sehen. Haben Sie das verstanden?«
    Die Polizisten nickten und fingen an, die Befehle des Kripomannes auszuführen.
    Von überall hörte Lenz nun das Heulen von Sirenen. Er stand schwerfällig auf, lehnte sich an die nächste Hauswand und sah zurück auf den Straßenbahnzug, dessen Türen sich in diesem Moment schlossen. Er überlegte, wie das Gegenmittel bei einer

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