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Nervenflattern

Nervenflattern

Titel: Nervenflattern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Gibert
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der Kellner, reagierte am schnellsten. Er warf die Teller in den Raum, drehte sich um und deutete auf eine Tür direkt neben der Theke.
    »Hierher, hier ist ein Ausgang«, rief er der Geburtstagsgesellschaft zu. Dann raste er los. Jetzt hatten alle Anwesenden verstanden, dass es sich nicht um einen Scherz oder eine familiäre Auseinandersetzung handelte, und sprangen von ihren Stühlen auf.
    Lenz wusste nicht, was er als Nächstes tun sollte. Er musste sich um die Gäste kümmern, aber er wollte auch Simone Tauner nicht so einfach entwischen lassen. Und er hatte höllische Angst, in den nächsten Minuten die ersten Symptome einer tödlichen VX-Vergiftung zu spüren.
    Der Mann hinter der Theke hielt noch immer ein Glas in der Hand und sah den Polizisten fragend an. Lenz war mit ein paar kurzen Sätzen neben ihm und zog ihn zwischen den anderen Flüchtenden hindurch am Arm nach draußen.
    »Haben Sie ein Mobiltelefon?«
    »Nein, aber ein Handy.«
    »Auch gut«, erwiderte Lenz kopfschüttelnd.
    »Rufen Sie die 110 an und sagen Sie denen, dass es hier vermutlich einen Angriff mit VX gegeben hat. Verstanden?«
    »Klar, ich bin doch …« Lenz schnitt ihm das Wort ab.
    »Vorher bringen Sie alle Leute hier weg, am besten runter zur Uni. Aber sorgen Sie dafür, dass wirklich alle draußen sind. Und jetzt schnell!«
    Damit ließ er seinen Arm los und rannte durch den Torbogen auf die Hauptstraße.
    Von der Frau war nichts zu sehen. Es gab drei Richtungen, in die sie verschwunden sein konnte. Nach links führte die Straße in Richtung Nordwesten, also aus der Stadt hinaus. Geradeaus kam man über eine kleine Nebenstraße zur Universität und in die Nordstadt. Und rechts gelangte man in die Innenstadt. Lenz konnte später nicht erklären, warum er sich für den Weg in die Innenstadt entschied. Um ein weiteres Blickfeld zu haben, lief er zwischen den Autos durch in die Mitte der vierspurigen Straße, auf die Straßenbahnschienen. Während seine Augen die Umgebung absuchten, griff er nach seinem Telefon. Als er es aus der Jackentasche gezogen und die Kurzwahltaste von Hain gedrückt hatte, rutschte es ihm aus der verschwitzten Hand, schlug auf dem Boden auf und explodierte förmlich. Lenz sah den Akku auf die Straße rutschen, achtete aber schon nicht mehr darauf, denn in diesem Augenblick erkannte er Simone Tauners blauen Rock und ihr rotes Kopftuch etwa 250 Meter vor sich. Sie hastete über die Straße und war im Begriff, an der Haltestelle ›Am Stern‹ in eine Straßenbahn der Linie fünf einzusteigen. Er beschleunigte erneut und holte alles aus seinem Körper heraus, aber ihm war klar, dass er unter normalen Umständen die Straßenbahn nicht mehr erreichen würde. Etwa 150 Meter, bevor er die Haltestelle erreicht hatte, fuhr der Zug ab.
    Verdammt, schrie er stumm. Trotzdem rannte er weiter.
    Eine halbe Minute später überquerte er unter lautem Gehupe einiger Autofahrer die große Kreuzung am Stern und lief in die Fußgängerzone. Immer mehr hatte er das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, und fragte sich, ob das ein Symptom der nun einsetzenden Wirkung des Nervengiftes sein könnte, aber dann realisierte er, dass seine Kondition für diese Belastung einfach nicht ausreichte. Langsam verminderte er die Geschwindigkeit und blieb dann stehen. 50 Meter hinter ihm jagten mehrere Streifenwagen mit Sirenengeheul vorbei. Während er vornübergebeugt und mit weit aufgerissenem Mund nach Luft schnappte, hielt neben ihm eine weitere Straßenbahn. Lenz stellte sich aufrecht hin, torkelte auf die vordere Tür zu und stieg ein. Irgendwo im Hinterkopf hatte er gespeichert, dass zu den Hauptverkehrszeiten manchmal drei oder vier Züge an der Haltestelle am Königsplatz warten mussten, weil die Innenstadt zu voll war. Es schien ewig zu dauern, bis sich die Bahn langsam in Bewegung setzte. Lenz sah seine Umgebung nur verschwommen und vor seinen Augen tanzten Sterne. Sein Herz raste und entwickelte einen solchen Druck in der Brust, dass er befürchtete, im nächsten Moment ohnmächtig zu werden. Er musste sich setzen, weil ihm seine Beine nicht mehr gehorchen wollten.
    Sie hat es gemacht, dachte er. Sie hat es wirklich getan. Sie hat mich vergiftet.
    Als die Straßenbahn am Königsplatz angekommen war, zog der Kommissar sich an einer Haltestange hoch und schwankte auf die Tür zu. An der Kante strauchelte er und stürzte auf die zitternden Knie. Er raffte sich mit dem Rest an Kraft auf, die ihm verblieben war, und setzte sich in Bewegung.

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