Nesthäkchen 01 - Nesthäkchen und ihre Puppen
Turmuhr! Nun aber vorwärts!«
Aufs neue brauste der Wolkenschlitten durch das Schneeland.
Ja, in allen Kinderstuben preßten sich kleine Näschen erwartungsvoll gegen die Fensterscheiben. Nur Doktor Brauns Nesthäkchen hatte keine Zeit dazu. Das kleine Puppenmütterchen hatte selbst noch alle Hände voll zu tun, um die Bescherung für ihre Kinder herzurichten. Die waren heute sämtlich aus der Kinderstube ausgesperrt. Bei Hanne draußen auf dem Fensterküchenschrank hockten sie. Kurt und Lolo hauchten Gucklöcher in das vereiste Blumenmuster des Fensterglases, Irenchen und Mariannchen tauschten ihre Meinungen darüber aus, was wohl aus Schwester Gerda geworden war, und Klein- Babychen überlegte aufgeregt, ob es Weihnachten kurze Kleider erhalten werde.
Drinnen in der Kinderstube aber tappelte ihr Mütterchen mit heißen Wangen geschäftig hin und her. Mitten auf den weißen, kleinen Tisch stellte Annemarie das niedliche Puppenweihnachtsbäumchen. Daran hängte sie bunte Zuckerkringel. Die weißen Wachsstreichhölzer, die prächtige Weihnachtslichter abgaben, hatte Fräulein Lena schon auf den grünen Zweigen befestigt. Dann holte Annemarie sechs Teller aus ihrer Küche herbei. Auf jeden legte sie einen winzig kleinen Puppenstollen. Die gute Hanne hatte sie auf Nesthäkchens Bitten für ihre Kinder mitgebacken.
Dazu kamen ganz kleine Scheibchen Pfefferkuchen, eine Haselnuß, ein Stückchen Marzipan - und die bunten Schüsseln für die Puppen waren fertig.
Rings auf dem Tisch baute Klein-Annemarie die Teller auf - eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs - ja, für wen sollte denn der sechste sein? Draußen an dem Küchenfenster warteten nur fünf Puppen auf die Bescherung.
Mit besonderer Liebe stellte Nesthäkchen den sechsten Teller bereit, mütterlich strich sie über die kleine Marzipanbrezel.
»So, mein Gerdachen, die ist für dich, du sollst nicht leer ausgehen, wenn du doch vielleicht heute zu mir zurückkommst. Ich habe den lieben Gott ja jeden Abend gebeten, dich mir wiederzuschicken. Und Fräulein sagt, Weihnachten kehren alle Puppen zurück, wenn ihre kleinen Mamas gut zu ihnen gewesen sind. Und ich war doch nicht schlecht zu dir, mein Gerdachen? Ich habe mir ja sogar für dich mein Zöpfchen abgeschnitten!« Die Kleine fuhr sich über den kurzgelockten Blondkopf.
Dann aber lief Annemarie eilig zu ihrem kleinen Schränkchen und kramte allerliebste Sächelchen daraus hervor, die sie im Kindergarten bei Tante Martha für ihre Puppen angefertigt hatte. Ein fleißiges Nesthäkchen! So - nun war der Puppenaufbau fertig, doch Nesthäkchen war noch nicht zu Ende mit ihren Liebesgaben. Für alle hatte sie ein Geschenk.
Auf den großen Kinderstubentisch kamen die Geschenke für die Großen, das rot- und goldgestreifte Lesezeichen für Großmama obenan und das blausilbern karierte für Tante Albertinchen daneben, denn auch die fehlte am Weihnachtsabend nicht. Für Mutti hatte Nesthäkchen ein niedliches Körbchen geflochten und für Fräulein einen Serviettenring. Vater bekam einen Kalender in Leder, den Annemarie mit roter Seide ausgestickt hatte.
Bruder Hans einen Tintenwischer mit schwarzer Seide, damit man die Kleckse nicht sah. Selbst für Klaus hatte das gute Schwesterchen gearbeitet, obwohl der sie doch immer ärgerte. Eine prächtige Pferdeleine aus bunter Wolle hatte sie bei Tante Martha für ihn durch einen ausgehöhlten Korken knüpfen gelernt. Hanne und Frieda, die immer so nett zu der Kleinen waren, bekamen Pappbilder für ihr Zimmer in Durchstecharbeit, Frieda den Zappelphilipp aus dem Struwwelpeter, und Hanne den Suppenkaspar, weil der doch gerade so kugelrund war wie sie selbst. Dann aber brachte Annemarie ihr letztes Geschenk herbei - Ein Halsband war es aus bunten Perlen, das sollte doch sicherlich Puck bekommen.
Nun wurde das Schränkchen endlich leer, und das war gut; denn jetzt schien es auch die höchste Zeit. Draußen vor dem Haus an dem beschneiten Vorgarten hielt bereits Knecht Ruprechts Schlitten. Geschäftig luden die kleinen Engel allerlei ab und trugen es ins Haus. Das bis über die Nase vermummte Engelchen, das als Kutscher auf dem Bock thronte, knallte ungeduldig mit der Silberpeitsche. Sie mußten doch weiter!
»Habt ihr mir auch die Puppe für Klein-Annemarie richtig bei Doktors abgegeben, ihr Engelbengelchen?« brummte Knecht Ruprecht, als die kleinen Ablader jetzt endlich pustend und schnaufend zurückkehrten.
»Die haben wir zuallererst gebracht, weil sie solche Sehnsucht
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