Neubeginn in Virgin River
abgehalten hätte, ständig hin und her zu laufen. Da die Bar geschlossen war und sich viele Männer auf dieser sogenannten Aasfresserjagd befanden, war es im Dorf ungewöhnlich ruhig.
Den größten Teil des Tages saß Mel auf den Verandastufen vor Does Haus. Gegen Mittag fuhr der schwarze Range Rover langsam in den Ort ein. Vor der Praxis blieb er stehen, und das getönte Seitenfenster glitt nach unten. „Ich habe gehört, was Ihnen zugestoßen ist“, sagte der Fahrer.
„Tatsächlich? Ich wusste gar nicht, dass wir gemeinsame Bekannte haben.“
„Ich wollte Ihnen zwei Dinge sagen, weil Sie mir einmal einen Gefallen getan haben. Erstens: Ich kannte Thompson, und ich weiß, dass er völlig durchgeknallt war. Ich weiß auch eine Menge über das, was da draußen im Wald vor sich geht, und dass es dort keine weiteren Kerle gibt wie ihn. Leute wie Vickie – das ist die Frau, die das Baby bekommen hat –, nun, sie hat in mancherlei Schwierigkeiten gesteckt, aber sie ist für niemanden eine Gefahr. Sie hält sich einfach nur versteckt, hat ein paar harte Trennungen hinter sich und hat nicht viele Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Übrigens, sie ist fort. Zusammen mit dem Baby habe ich sie in den Bus nach Arizona gesetzt. Sie ist jetzt bei ihrer Schwester.“
„Ich dachte, ihre Schwester lebt in Nevada“, bemerkte Mel.
„Ach, habe ich das gesagt?“, fragte er scheinheilig nach. „Nun … gut möglich, dass ich mich irre.“
„Ich hoffe nur, dass Sie wissen, wohin Sie den Scheck schicken müssen. Immerhin ist es doch Ihr Kind.“
„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich Mutter und Kind mit allem versorgen werde, was sie brauchen, oder nicht?“
Einen Moment lang schwieg sie und überlegte. Das Geld, das er lockermachen würde, stammte hundertprozentig aus dem Verkauf von Marihuana. Es gab Leute, die fanden Marihuana nicht schlimmer als ein paar Bier, und sie, Mel, stand kurz davor, einem Mann Leben und Liebe zu versprechen, der eine Bar besaß und nichts dabei fand, ein paar Bier zu servieren. Es gab andere, die den medizinischen Wert der Pflanze erkannten. Und eine dritte Fraktion sah darin eine gefährliche Droge, die, falls sie in falsche Hände geriet – wie zum Beispiel in die Hände von Kindern –, zu weit gefährlicheren Abhängigkeiten führen könnte, als regelmäßig ein paar Bier zu trinken. Mel wusste nur so viel: Ohne ärztliche Verschreibung an Marihuana zu kommen war illegal und insofern häufig mit Verbrechen verbunden.
„Sie sprachen von zwei Dingen, die Sie mir sagen wollten.“
„Ja, zweitens: Ich werde von hier weggehen. Es hat einen Todesfall gegeben. Und auch wenn Thompson nicht wirklich ein großer Verlust für unser Geschäft ist“, meinte er, „so stand er doch mit einigen wichtigen Leuten hier in Verbindung. Es wird also Ermittlungen, Haftbefehle und Festnahmen geben. Ich mache mich vom Acker.“ Er lächelte sie an. „Jetzt haben Sie, was Sie wollen. Sie werden nie wieder mit mir zu tun haben.“
Sie saß noch immer auf den Verandastufen und beugte sich nach vorne. „Haben Sie je Gewalt angewendet?“
„Nicht wirklich“, antwortete er achselzuckend. „Jedenfalls bin ich nicht so weit gegangen wie Thompson. Ja, klar … es gab schon mal kleinere Auseinandersetzungen. Aber ich bin nur ein Geschäftsmann.“
„Hätten Sie sich denn nicht ein etwas legaleres Geschäft aussuchen können?“
„Tja, wahrscheinlich schon“, antwortete er und grinste. „Mir ist bloß noch nichts Lukrativeres über den Weg gelaufen.“
Das Fenster glitt wieder nach oben, und er fuhr die Straße hinunter. Mel verfolgte ihn mit Blicken, bis er außer Sichtweite war. Sie prägte sich das Kennzeichen ein, obwohl sie sich sagte, dass es wenig nützen würde, wenn er in seinem Beruf auch nur einen Pfifferling taugte.
Bei Sonnenuntergang saß sie immer noch wartend auf Does Veranda, und als es anfing dunkel zu werden, hörte sie, wie die Männer zurückkehrten. Während sie langsam ins Dorf fuhren und vor Jacks Bar parkten, versuchte sie die Stimmung der Gruppe auszumachen. Alle wirkten ernst und müde, als sie aus den Trucks und Jeeps stiegen und sich mit hochgekrempelten Hemdsärmeln reckten und streckten. Die kugelsicheren Westen und Gewehre hatten sie abgelegt. Kaum waren alle ausgestiegen, klopften sie sich gegenseitig auf die Schultern und versammelten sich gut gelaunt vor Jacks Veranda. Mel amtete erleichtert auf, als sie sah, wie Ricky – wie unter seinesgleichen – mit den
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