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Neva

Neva

Titel: Neva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Grant
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die letzten Mädchen taumeln mit uns hinaus ins Freie. Doch bei diesem Tempo werden wir es nie schaffen. Das Feuer breitet sich rasend schnell aus und schließt uns in einer lodernden Umarmung immer enger ein.
    Wir hasten weiter. Fast haben wir alle Mädchen in Rosa überholt. Ich würde gerne anhalten und allen helfen, aber ich kann nicht. Ich muss Sanna retten. Als ich Nicoline entdecke, rufe ich sie. Sie winkt und wartet, so dass wir sie einholen können. Ihre Augen sind nun weiter geöffnet, aber sie ist noch immer unsicher auf den Beinen. Ihr rosafarbenes Nachthemd schleift auf dem Boden. Ich stabilisiere Sanna, lehne sie an meine Hüfte und bücke mich, um Nicolines Kleid zu raffen. Ich knautsche es unten am Saum zusammen und mache einen dicken Knoten hinein, so dass sie gehen kann, ohne darüberzustolpern.
    »Was sollen wir nur tun?«, fragt sie. »Das schaffen wir nie.«
    »Doch. Versprochen. Braydon ist hier irgendwo.« Ich schaue mich um, als ob mein Wille allein ihn herbeizaubern könnte. Bei dem Klang seines Namens merkt Sanna auf. »Er holt uns hier raus«, sage ich, als sei es eine unumstößliche Tatsache, aber in mir zieht sich alles zusammen. Das Feuer ist außer Kontrolle. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo Braydon ist oder ob es ihm überhaupt gutgeht. Und falls es ihm gutgeht – oh, bitte, Gott, bitte! –, dann haben wir Hunderte von Frauen und nur ein einziges Motorrad.
    Während wir uns vorwärtsbewegen, kommen Sanna und Nicoline zusehends zu Kräften. Die Innenseiten meiner Schenkel sind noch glitschig von dem Gel, das die Ärztin bei der Untersuchung benutzt hat. Die Erinnerung daran verursacht mir Übelkeit. Aber diese Mädchen hier haben Schlimmeres, viel Schlimmeres durchgemacht. Rauch und Aschepartikel machen das Atmen immer mühsamer. Ich ziehe meinen Kittel so hoch, dass ich damit Mund und Nase verdecken kann, und helfe Nicoline und Sanna dabei, dasselbe zu tun. Überall um uns herum bleiben geschwächte Mädchen einfach stehen. Wir halten an, um zu helfen und ihnen Mut zu machen, doch mit Worten allein lässt sich wenig ausrichten. Selbst die Mädchen in Rosa begreifen trotz ihres Dämmerzustands, dass unsere Lage nicht gerade rosig ist. Mein Plan ist auf entsetzliche Weise schiefgegangen.
    Als wir die neugeteerte Straße erreichen, ist Sanna fast wieder in der Lage, allein zu gehen. Vielleicht ist es nur Einbildung, doch plötzlich glaube ich, das Dröhnen eines Motors zu hören. Ich wende mich um und sehe einen weißen Transporter, der direkt auf uns zuschießt. Ich stoße Nicoline und Sanna aus dem Weg. Als der Wagen durch den Rauch an uns vorbeirast, erkenne ich, dass er voll besetzt ist mit Wachleuten und Personal aus der Einrichtung. Sie haben es aufgegeben, das Feuer zu bekämpfen, und lassen uns im Stich! Ich helfe Nicoline und Sanna wieder auf die Füße. Wir sind meilenweit von jeglicher Zivilisation entfernt. Ohne Transportmöglichkeiten werden wir alle sterben.
    Die Mädchen tun sich zu zweit oder zu dritt zusammen, jede hilft jeder. Der Anblick lässt mich unwillkürlich an den Namen denken, den die Gesundheitsministerin ihrem Babyproduktionsgefängnis gegeben hat: Frauen-Motivationszentrum. Vielleicht liegt sie gar nicht so falsch. Ich bin umgeben von Mädchen aller Typen, Figuren und Größen. Alle sind abgekämpft und geschunden, doch wir geben nicht auf.
    »Kommt!«, rufe ich. »Bleibt in Bewegung.« Wir marschieren weiter. Das Feuer flackert hinter den Baumreihen und leuchtet uns. Immer neue Hitzeschübe treiben uns an. Ich schiebe Nicoline und Sanna vor mir her. An Nicolines Nachthemd entdecke ich einen faustgroßen roten Fleck, der sich rasch auszubreiten scheint. Blut rinnt ihr die Beine herab und hinterlässt eine Spur roter Tropfen, der ich folge.
    »Sie hat eine Fehlgeburt«, flüstert eine junge Frau neben mir. »Wenn das Feuer sie nicht erwischt, wird sie ohne medizinische Hilfe am Blutverlust sterben.«
    »Was?«
    Die Frau legt ihre Arme schützend um ihren runden Bauch, als fürchte sie, sie könnte sich bei Nicoline irgendwie anstecken. »Weißt du, was sie uns angetan haben?«, fragt sie.
    Ich nicke.
    »Nun, sie nicht. Ich hatte zwei Fehlgeburten, bevor man mich hergeschickt hat.« Sie schlingt die Arme um sich und wiegt sich leicht. »Ich wusste genau, was sie mit mir machen. Die meisten der Mädchen hier haben aber keinen Schimmer. Natürlich erklärt man uns auch nicht viel, bevor man uns ins Traumland schickt. Welches Datum haben wir?«
    Ich

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