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Neva

Neva

Titel: Neva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Grant
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gelöscht worden sein. 1132 zerrt mich durch den Flur und auf dieselbe Tür zu, durch die wir hereingekommen sind. Zumindest denke ich, dass es dieselbe ist. Mein Kopf fühlt sich an wie Watte. Ich vergesse etwas. Etwas Wichtiges. Fast fällt es mir ein, entgleitet mir jedoch wieder. Und dann kommt es zurück.
    Ich bleibe stehen. Sanna. Ich mache mich von 1132 los. Sie sieht mich wütend an, dann läuft sie durch die Tür hinaus.
    »Sanna!«, rufe ich, während ich durch das Gebäude renne und an jede Tür hämmere. Alle Räume sind leer. Ich zögere an der Doppeltür am Ende des Flurs. Schließlich stoße ich sie auf und sehe hinein. Ein OP -Saal. Chromblitzende chirurgische Instrumente liegen auf dem Boden verstreut. Die Umgebung wirkt absolut steril – bis auf eine Blutlache, die im künstlichen Licht rot glitzert. Rote Fußspuren führen zur Tür, die ich offen halte. Was tun sie diesen Frauen an?
    »Sanna!«, schreie ich lauter und renne zurück durch den Flur und hinaus. Obwohl es Nacht ist, glüht der Himmel. Eine Feuerwalze bewegt sich lodernd den Hügel hinab. Am liebsten würde ich hinrennen und mich davon reinwaschen lassen. Ich fühle mich dreckig und wund und stelle mir vor, wie die Flammen an meiner Haut lecken.
    Mich umgibt ein Meer aus Mädchen, die dieselben knappen Hemdchen tragen wie ich. Ihre nackten Füße wirbeln den Staub von der unbefestigten Straße auf. In meinen Ohren klingt das Knistern und das Knacken und Bersten der Bäume, die vom Feuer vernichtet werden.
    »Sanna!«, brülle ich. Niemand reagiert auf den Namen. Vielleicht hört mich bloß niemand. Während ich mich durch die wogende Menge aus Leibern schiebe, rufe ich sie immer wieder. Ich drehe Mädchen zu mir herum, um sie anzusehen. Ich suche nach Sannas Narbe, aber jedes Gesicht vor mir ist rosig und glatt. Wieder und wieder rufe ich ihren Namen. Möglicherweise kann sie sich gar nicht an ihn erinnern, und ich kenne ihre Nummer nicht.
    Immer weiter entferne ich mich von dem Backsteingebäude. Ich kann nicht ohne sie gehen. Also bleibe ich stehen, mache kehrt und betrachte jedes Gesicht ganz genau, an dem ich vorbeikomme. Das Geschrei ist ohrenbetäubend. Die Mädchen bilden eine ungleichmäßige Reihe und verschwinden über die Straße.
    Ich renne zurück ins Haus, und der Staub und der Rauch kratzen in meiner Kehle. Ich will mich räuspern, um das Gefühl loszuwerden, aber dann kann ich nicht mehr aufhören zu husten. Schwarze Ascheteilchen schweben in der Luft. Ich bin fast dort angelangt, von wo ich losgelaufen bin. Wieder rufe ich nach Sanna, und plötzlich klappe ich vornüber: Ich ringe nach Atem, aber mein Körper scheint die Luft nicht zu wollen.
    Ich schließe die Augen und versuche, mich zu beruhigen. Während der Rauch um mich herum immer dichter wird, wird mein Verstand endlich klar. Ich muss Sanna finden.
    Ich sehe, wie Wachleute und Frauen in blauen Kitteln mit Decken auf die Flammen einschlagen. Sie bilden eine Reihe vom Haus aus, und mit Wasser gefüllte Eimer, Schüsseln und Krüge werden von Hand zu Hand gereicht. Das Feuer rückt näher und brennt eine schwarze Linie ins braune Gras. Der Geruch von verbrannter Erde ist überwältigend.
    Die Tür zu dem großen scheunenartigen Gebäude steht offen, und Mädchen in langen, rosafarbenen bauschigen Nachthemden taumeln heraus. Ich renne hinüber, um ihnen zu helfen, um ihnen die Richtung zu weisen. Sie stolpern über ihre Nachthemden. Ein Mädchen stürzt und landet auf allen vieren. Ich gehe daneben in die Hocke. Alarmiert und verwirrt, schaut sie zu mir auf. »Ganz ruhig«, sage ich. Nun sehe ich die Nummer auf ihrem Arm: 367 +.
    »Wie heißt du?«, frage ich, als ich ihr auf die Füße helfe.
    Sie kneift die Augen zusammen und blinzelt mich an. Offenbar hat sie nicht verstanden, was ich gefragt habe. »Wie heißt du?«, wiederhole ich, bis ich begreife, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt dafür ist. Ich zeige auf die Straße. »Du musst den anderen hinterherlaufen. Lauf ihnen nach.«
    Sie nickt und stolpert vorwärts. Dann hält sie an und wendet sich wieder zu mir um. »Christy«, ruft sie mir zu. »Ich heiße Christy.«
    »Du musst dich beeilen, Christy!«, brülle ich und wedele sie mit den Händen fort. Als sie sich in Bewegung setzt, wirkt sie etwas sicherer auf den Füßen.
    Immer mehr Mädchen kommen aus der Scheune. Sie schauen sich mit halbgeöffneten Augen um. Irgendetwas stimmt mit ihnen nicht. Ein zweites Mädchen stürzt, schreit jedoch nicht

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