Never Knowing - Endlose Angst
Campsite-Killer konnte ich mich nicht mehr an viel erinnern – außer, dass er Leute im Landesinneren von British Columbia umbrachte.
Tom redete immer noch. »Ich wollte ganz sicher sein, also bin ich runter nach Victoria gefahren und habe ein paar Aufnahmen von Julia an der Uni gemacht und sie dann mit Fotos von Karen Christianson im Internet verglichen. Sieht aus, als sei es dieselbe Frau.«
»O Gott, kein Wunder, dass sie ihren Namen geändert hat. Wann wurde sie überfallen?«
»Vor fünfunddreißig Jahren«, sagte Tom. »Ein paar Monate darauf zog sie auf die Insel und änderte ihren Namen.«
Etwas Kaltes und Dunkles breitete sich in meinen Eingeweiden aus.
»In welchem Monat wurde sie überfallen?«
»Im Juli.«
Meine Gedanken rasten, und ich überschlug Daten und Zeiträume. »Ich werde im April vierunddreißig. Sie glauben doch nicht …«
Er schwieg.
Ich taumelte zurück, sackte auf einen Stuhl und versuchte zu begreifen, was er mir gerade erzählte. Aber meine Gedanken befanden sich in einem heillosen Durcheinander, waren nichts als Bruchstücke, die ich nicht zu fassen bekam. Dann dachte ich an Julias blasses Gesicht, ihre bebenden Hände.
Der Campsite-Killer ist mein Vater.
»Ich … ich meine … sind Sie
sicher
?« Ich wollte, dass er mir widersprach, dass er mir sagte, ich hätte mich verhört, würde da falsch denken, irgendetwas.
»Karen ist die einzige Person, die es bestätigen könnte, aber die Daten passen.« Schweigend wartete er darauf, dass ich etwas sagte, aber ich starrte nur auf unseren Kalender am Kühlschrank. Allys beste Freundin, Meghan, feierte am Wochenende Geburtstag. Ich konnte mich nicht erinnern, ob ich schon ein Geschenk für sie besorgt hatte oder nicht.
Toms Stimme klang wie aus weiter Ferne. »Falls Sie noch weitere Fragen haben, meine Nummer haben Sie. Ich schicke Ihnen die Bilder, die ich von Karen gemacht habe, zusammen mit der Rechnung.«
Ein paar Minuten saß ich in meiner Küche und starrte immer noch den Kalender an. Oben hörte ich eine Schranktür zuknallen, und mir fiel ein, dass Ally im Bad war. Um diese Sache musste ich mich später kümmern. Ich zwang mich, vom Stuhl aufzustehen. Ally war schon wieder aus dem Badezimmer raus und hatte eine Spur aus nach Erdbeeren duftendem Badeschaum und nassen Handtüchern hinterlassen.
Normalerweise liebe ich es, sie ins Bett zu bringen. Beim Rumkuscheln erzählt sie mir, was am Tag alles passiert ist, teils kleines Mädchen, das manche Wörter falsch ausspricht, teils kleine Frau, wenn sie beschreibt, was die anderen Mädchen angehabt haben. Früher, als ich noch Single war, durfte sie immer in meinem Bett schlafen. Ich liebte die Nähe, liebte es, sie neben mir atmen zu hören. Schon als ich schwanger war und Jason um die Häuser zog, konnte ich nur einschlafen, wenn ich die Hand auf meinen Bauch legte. Normalerweise war er bis in die Puppen unterwegs. Wenn ich ausflippte, und das tat ich immer, schob er mich einfach aus dem Zimmer und schloss ab. Ich schrie ihn durch die Tür an, bis ich heiser war. Schließlich verließ ich ihn, als ich im fünften Monat war. Er hat seine Tochter nie gesehen – einen Monat vor ihrer Geburt hat er seinen Truck an einen Baum gesetzt.
Zu seinen Eltern habe ich immer noch Kontakt, und sie sind echt klasse zu Ally. Erzählen ihr Geschichten über Jason und heben Dinge von ihm auf, für später, wenn sie älter ist. Ab und zu übernachtet sie bei ihnen. Beim ersten Mal hatte ich Angst, dass sie weinend aufwachen würde, aber es ging ihr gut. Ich war diejenige, die nicht schlafen konnte. Dasselbe am ersten Schultag – Ally schaffte das mit links, aber ich vermisste sie jede Minute, vermisste die Geräusche im Haus, vermisste ihr Kichern. Normalerweise lechze ich nach diesen kleinen Fenstern zu ihrem Leben draußen, weg von zu Hause, und will wissen, wie sie sich in jedem Moment gefühlt hat. »Hat es dich zum Lachen gebracht?« »Hast du irgendetwas daraus gelernt?« Doch an diesem Tag gingen mir immer wieder Toms Worte durch den Kopf:
Die Daten passen.
Es fühlte sich unwirklich an, es konnte nicht wirklich wahr sein.
Als Ally eingeschlummert war, küsste ich ihre warme Stirn und ließ Elch bei ihr. In meinem Büro machte ich den Computer an und googelte den Campsite-Killer. Die erste Website in der Liste war seinen Opfern gewidmet. Während düstere Musik aus den Lautsprechern erschallte, scrollte ich durch die Fotos seiner Opfer mit den Namen und Todesdaten unter
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