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Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin

Titel: Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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Jorins Vater aber verlor noch mehr von seiner Sicherheit.
    Schließlich hob er die Hand. »Zurück«, sagte er leise, dann noch einmal lauter: »Zurück!«
    Etwa die Hälfte der Flüchtlinge gehorchte. Die übrigen aber waren viel zu aufgebracht über den Tod des Priesters. Einige von ihnen machten ungerührt einen Schritt auf Hagen zu.
    Obwohl Jorins Vater sich mit den anderen zurückgezogen hatte, wies der Ritter abermals mit dem Schwert auf die Brust des Mannes. »Ich töte dich«, rief er beharrlich, »wenn auch nur einer die Hand gegen mich oder den Jungen erhebt.«
    »Nein!« brüllte Jorin vom Rücken des galoppierenden Schimmels herab. »Das ist ungerecht!«
    Hagen beachtete ihn nicht. »Ruf diese Hunde zurück«, gemahnte er Jorins Vater, »oder du stirbst!«
    Durch die Reihe jener, die zurückgetreten waren, ging ein unruhiges Raunen. Jorins Vater sah sich aufgebracht unter ihnen um, aber alle senkten die Blicke. Plötzlich schien er ganz allein dazustehen, ohne jede Unterstützung. Mit einem verzweifelten Ruck setzte er sich in Bewegung und trat zwischen die Männer, die Hagen immer noch angriffslustig gegenüberstanden.
    »Tut, was er sagt!« verlangte er und mühte sich merklich, das Schwanken seiner Stimme in den Griff zu bekommen. »Laßt ihn ziehen!«
    »Er hat Noah getötet!« widersetzte sich einer und ließ seine Augen nicht von Hagen.
    »Dafür erwartet ihn die Hölle«, gab Jorins Vater zurück. Er schenkte Hagen einen Blick voller Abscheu, dann wandte er sich wieder an die Männer. »Tretet zurück, oder wollt ihr wirklich noch weiteres Blutvergießen?«
    Allmählich drangen seine Worte durch die Masken aus Haß und wütender Entschlossenheit, hinter denen sich die anderen verschanzten. Die ersten gaben auf und zogen sich zurück, weitere folgten ihnen. Schließlich spie auch der letzte verächtlich ins Gras und ging davon.
    Der Ritter nickte Jorins Vater einmal kurz zu, so als wollte er sich bei ihm bedanken, dann senkte er das Schwert. Während er in den Sattel seines Rosses stieg, deutete er beiläufig auf den toten Priester. »Gebt ihm ein Begräbnis, das seinem Glauben entspricht – welcher auch immer das sein mag.«
    Er hob die Hand, und sogleich hörte der Schimmel auf, im Kreis zu laufen. Gemächlich trabte er in die Mitte der Lichtung, bis er neben dem schwarzen Schlachtroß stehenblieb.
    Jorin schaute den Ritter anklagend an, sagte aber kein Wort.
    »Was nun, Junge?« fragte Hagen. »Willst du bleiben?«
    Jorins Vater hatte Hagen und seinem Sohn den Rücken gekehrt, und obgleich er die Frage des Ritters gehört haben mußte, wandte er sich nicht um. Jorin blickte ihm flehend nach, doch die Entscheidung lag jetzt allein bei ihm. Niemand würde sie ihm abnehmen, gewiß nicht sein Vater. Er ahnte, daß der Haß der übrigen Männer und Frauen nur unterdrückt, aber keineswegs erloschen war. Sobald der Ritter fort war, würden die Flammen von neuem auflodern wie die Glut in einem Scheiterhaufen, und es gab wenig Zweifel, wen sie verzehren würden. Den Rückhalt seiner Eltern hatte er verloren – seine Mutter hatte sich noch immer nicht blicken lassen, und dann war da noch das Mädchen am Boden, die Pusteln unter ihren Achseln. Der sichere Tod, auch dann, wenn er blieb und nicht von der Menge zerrissen wurde.
    Als der Junge seine Entscheidung traf, war Hagen schon zwei Pferdlängen entfernt und ritt unter den argwöhnischen Blicken der Flüchtlinge zum Waldrand.
    »Wartet, Herr!« rief Jorin aus. »Nehmt mich mit Euch!«
    Hagen gab durch nichts zu erkennen, ob er ihn gehört hatte, aber der Schimmel setzte sich sogleich in Bewegung und folgte dem Roß des Ritters. Jorin schaute sich nach seinem Vater um, Tränen verschleierten seinen Blick. Er sah nur einen nackten Umriß zwischen vielen anderen. Dann wurden die beiden Reiter vom Wald umfangen, und Geäst und Laubwerk verdeckten Jorins Sicht.
    Sie waren bereits eine Weile geritten, schweigend und ohne sich anzusehen, als hinter ihnen Gesang laut wurde. Es war ein Lied in lateinischer Sprache, und obwohl Jorin kein einziges Wort verstand, spendete die Melodie ihm Trost. Einen ganz kurzen Moment lang wünschte er, jetzt bei den anderen zu sein, um sich vom Glauben und der Gemeinschaft und vielleicht auch von Gott an der Hand nehmen zu lassen. Auf dem Weg in den Tod, vielleicht, ganz gewiß aber auf dem Weg zur vollkommenen Gleichmut.

Kapitel 5  
    lso?« fragte Kriemhild, und sie war weit mehr als nur ungehalten; tatsächlich war sie

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