Inseln im Wind
1
E lizabeth erschauerte. Unwillkürlich glitt ihr Blick zu dem Richtblock, und wieder wünschte sie sich davonzulaufen, um es nicht länger mit ansehen zu müssen. Schon bei ihrer Ankunft vor dem Palast hatte sie der Anblick des Schafotts mit Abscheu erfüllt. Hoch gebaut und mit schwarzem Tuch beschlagen, ähnelte das große Podest einem gewaltigen Sarg.
» Es ist eine Schande«, sagte Elizabeths Vater. Lord Raleigh war blass, und seine Stimme zitterte, als stünde er kurz davor, die Fassung zu verlieren. Sein Gesicht war versteinert, es kostete ihn Mühe, angesichts des Unfassbaren Haltung zu bewahren.
» Den Ruhm Englands wird dieses Schauspiel sicher nicht mehren«, stimmte Harold Dunmore zu. Der Plantagenbesitzer hatte die Arme vor der Brust verschränkt und verfolgte das Geschehen auf dem Schafott mit gerunzelter Stirn, aber auch mit einem gewissen Interesse.
Fröstelnd zog Elizabeth den pelzverbrämten Umhang fester um ihre Schultern. Es war kalt an diesem Januartag, der Wind fuhr ihr immer wieder schneidend ins Gesicht. Sie hielt sich dicht bei ihrem Vater, obwohl sie kaum das Bedürfnis unterdrücken konnte, so weit wie möglich fortzulaufen. Wäre es doch nur endlich vorbei!
Es war schon fast eine Stunde her, dass der König durch eine Fenstertür von einem Raum des Banqueting House direkt hinaus auf das Schafott geführt worden war. Offenbar war es König Charles’ Wunsch gewesen, letzte Worte an sein Volk zu richten, doch sein Erzfeind Cromwell hatte das zu verhindern gewusst. Das Gelände um das Schafott war von Truppen abgeriegelt. Kavallerie und Infanterie umgaben die Richtstätte und sperrten sie zur Straße hin ab, sodass die versammelte Menge unmöglich verstehen konnte, was der König zu sagen hatte. Und das war nicht wenig. Charles I. sprach bereits seit geraumer Zeit zu dem Bischof und den Obristen, die ihn auf seinem letzten Gang begleitet hatten. Ein Schreiber notierte eifrig jedes Wort. Die wenigen auf dem Schafott versammelten Würdenträger standen mit ehrfürchtig gesenkten Häuptern und unglücklichen Mienen da. Der Henker und sein Knecht, die Köpfe unter den dunklen Masken verborgen, hielten sich im Hintergrund und warteten darauf, ihres Amtes walten zu können.
Aus den Fenstern des Banqueting House lehnten sich die Gaffer, ranghohe Beamte, Geistliche und Peers, die sich auf die Seite von Cromwell geschlagen hatten und dafür mit dem besten Blick auf das Ende der englischen Monarchie belohnt wurden.
Die Haltung des Königs war würdevoll, er stand aufrecht und straff und sprach mit hoch erhobenem Haupt.
Einer der Obristen bewegte sich während der Rede des Monarchen und stieß versehentlich an den Tisch, auf dem das Richtbeil lag. Ein Raunen ging durch die Menge, als der ungeschickte Offizier hastig zugriff, um es vor dem Herabfallen zu bewahren.
Charles I. unterbrach sich und schien eine launige Bemerkung zu machen, die dem Obristen ein gequältes Lächeln abrang.
Eine Weile noch sprach der König weiter, bevor er schließlich innehielt und sich vom Bischof eine Mütze reichen ließ, die er sich selbst aufs Haupt setzte. Dann wandte er sich an den Scharfrichter und redete mit ihm. Offensichtlich auf Ersuchen des Henkers schob sich der König sodann die langen Locken unter die Mütze, damit sie bei der Enthauptung nicht im Weg waren.
Elizabeths Vater stöhnte gequält auf.
» Bei allen Teufeln«, sagte Harold Dunmore bewundernd. » Dieser König sieht dem Tod wahrhaftig furchtlos ins Auge!«
Sein Sohn Robert trat zu Elizabeth und griff nach ihrer Hand, als wollte er sie trösten.
Solche spontanen Gesten entsprachen seiner Art. Dankbar erwiderte sie seinen Händedruck und kostete seine Fürsorglichkeit für einen Moment aus. Es fiel ihr immer noch schwer zu glauben, dass sie schon seit zwei Wochen mit ihm verlobt war. Von anziehendem Äußeren und tief gebräunt von der karibischen Sonne, bot er einen auffallenden Anblick unter all den bleichen Gesichtern im winterlichen England.
» Vielleicht solltest du besser wegschauen«, empfahl er Elizabeth. » Das, was jetzt kommt, ist nichts für ein Mädchen.«
» Nichts da«, widersprach sein Vater Harold. » Elizabeth ist nicht eine von diesen verweichlichten Heulsusen! Ein Mädchen, das im Herrensattel über die Felder galoppiert, hat auch genug Mumm, um ihren König sterben zu sehen. Sollte sie etwa den ganzen Weg von Raleigh Manor mit uns hergefahren sein, um dann dem armen Charles im Augenblick seines Todes ihre
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