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Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin

Titel: Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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Hagen?« fragte sie bitter. »Wann war der Moment, in dem du all deine eigenen Gedanken und Gefühle fortgeworfen hast, um Platz zu schaffen für die des Königs?«
    Er stutzte, dann schwieg er einige Schritte lang. Schließlich sagte er: »Ich habe deinem Vater viel zu verdanken, Kriemhild. Dankrat war ein weiser Herrscher. Und irgendwann einmal könnte Gunther ein ebensoguter König werden, wie euer Vater einer war.«
    »Ein guter König, du liebe Güte!« Ihr Tonfall war verächtlich, obgleich sie keinen Haß auf Hagen empfand. Er war ebenso ein Opfer des Königshofes wie sie selbst. Mit dem Unterschied, daß er Opfer und Vollstrecker in einer Person war. »Wann wird mein Bruder in deinen Augen wohl ein guter König sein, Hagen von Tronje? Wenn du dich endgültig an ihn verkauft hast und genauso denkst wie er? Oder aber wenn er so kalt und gefühllos geworden ist wie du?«
    Langsam kam er näher, ein unwirklicher Scherenschnitt vor dem fahlen Abendhimmel. Er sagte kein Wort, nur sein Kragen aus Rabenfedern knisterte leise im Wind. Plötzlich führte er beide Hände zum Helm und hob ihn vom Kopf. Darunter kamen ausgezehrte Züge zum Vorschein, kurzes, dunkles Haar, und eine schwarze Binde, die sein erblindetes linkes Auge bedeckte.
    Jodokus beugte sich an Kriemhilds Ohr. »Mußt du nun auch noch mit ihm Streit anfangen?« flüsterte er verzagt.
    Kriemhild ließ Hagen nicht aus den Augen. Noch fünfzehn Schritte. »Irgendwelche Vorschläge?« zischte sie Jodokus zu.
    »Du hast doch nicht etwa vor –«
    »Einverstanden«, unterbrach sie ihn lakonisch. »Dann machen wir es auf meine Art.«
    Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da brach sie schon nach links aus, sprang von der Straße und rannte über die Wiese nach Norden.
    Jodokus öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch da war sie schon fort. Zugleich geriet auch der schwarze Hüne in Bewegung. Wortlos ließ er den Helm fallen und machte sich an die Verfolgung der Prinzessin, ohne Jodokus eines einzigen Blickes zu würdigen.
    Der Sänger stand mit hängenden Schultern auf der Straße und fühlte sich elend. »Du hast mir nicht gesagt, was du unter ›meine Art‹ verstehst!« Aber er flüsterte nur und kam sich dabei äußerst hilflos vor.
    Kriemhild war bereits jenseits einer Hügelkuppe im Norden verschwunden, und Hagen von Tronje folgte ihr mit riesigen Sätzen. Mit Rüstzeug und Mantel hätte er niemals so flink sein dürfen. Jodokus hegte wenig Hoffnung für die Prinzessin.
    Dann machen wir es auf meine Art.
    Das machte ihn wirklich wütend. Was dachte sie sich nur dabei? Einen Moment lang erwog er, den beiden zu folgen, doch gegen Hagen konnte er ohnehin nichts ausrichten.
    Jodokus fühlte sich nichtsnutzig und verloren, als er plötzlich so ganz allein dastand. Jäger und Gejagte waren auf und davon. Und er? Zornig zupfte er unter seinem Wams die Bänder zurecht, die den Weinschlauch hielten, dann wandte er sich wieder nach Osten. Er passierte Hagens Helm und erwog, ihn aufzuheben, ließ ihn dann aber doch lieber liegen. Er wollte nicht, daß es hieß, er hätte versucht, einen Vertrauten des Königs zu bestehlen; o nein, ganz gewiß nicht! Sollte sich all das edle Königsvolk doch kreuz und quer über die Hügel jagen! Ihn würde das nicht mehr belasten! Ihn nicht!
    Aber natürlich konnte er in Wahrheit an nichts anderes denken, und Kriemhilds Schicksal berührte ihn längst viel mehr als sein eigenes.
    Von finsteren Gedanken erfüllt stieg er den Hügel hinauf, über den Hagen ihnen entgegengekommen war. Auch von hier oben konnte er die Prinzessin und ihren Gegner nirgends entdecken. Es war tatsächlich, als hätte sich der Boden aufgetan und beide in die Tiefe gerissen. Ein seltsamer Friede lag über dem Land, der Jodokus’ Neid weckte, war ihm selbst doch alles andere als friedlich zumute.
    Als er die Ostflanke des Hügels hinabblickte, dem weiteren Verlauf der Straße nach, entdeckte er in einer dunklen Bodensenke ein Lagerfeuer. Die Sonne war jetzt gänzlich untergegangen, und der Einschnitt zwischen den Hügeln lag in völliger Dunkelheit. Nur das Feuer leuchtete Jodokus wie ein gefallener Stern entgegen. Aus der Ferne war nicht zu erkennen, wer dort lagerte, aber das war auch nicht nötig. Jodokus ahnte es auch so.
    Eilig lief er die Straße bergab, verließ sie etwa hundert Schritte vor dem Feuer und pirschte vorsichtig näher heran. Seine Ahnung bestätigte sich. Unweit der Flammen hockte der kleine Junge im Gras, einen Dolch in der Hand, und

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