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Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin

Titel: Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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hat ein loses Mundwerk, in der Tat.«
    Kriemhild blickte unwillkürlich zur Tür. Falls Etzel Berenikes Worte verstanden hatte, so bewegten sie ihn nicht dazu, sich zu erkennen zu geben.
    »Und nun«, meinte die Hexe, »bist du gekommen, um die ganze Geschichte zu hören, nicht wahr? Dabei kennst du sie schon.« Sie lehnte sich müde in ihrem Stuhl zurück. »Du dummes, dummes Kind.«
    »Ich kam her, um der Pest ein Ende zu machen, nicht um mich beleidigen zu lassen.«
    »Wie stolz sie geworden ist, die hübsche Prinzessin.« Berenike kicherte. »Ich habe dich ganz anders in Erinnerung, mein Kind. Viel zahmer.«
    »Unsere erste Begegnung liegt Jahre zurück.«
    »Oh, gewiß. Du warst jünger und voller Demut.« Berenikes Augen wurden trüb, als sie direkt in die Vergangenheit zu blicken schien. »Du warst bereit, alles für dein Volk zu opfern.«
    »Das bin ich noch heute.« Tatsächlich aber war sie dessen längst nicht mehr so sicher wie noch vor wenigen Tagen. Sie hatte die Bewohner eines ganzen Dorfes in den Tod geschickt, und dennoch hatte sie seitdem kaum einen Gedanken an sie verschwendet. Verhielt sich so eine Prinzessin, der nur das Wohl ihrer Untertanen am Herzen lag? Und wäre sie wirklich bereit gewesen, sich bei lebendigem Leibe verbrennen zu lassen?
    Nein, entschied sie. Nein auf beide Fragen.
    »Du weißt, daß Etzel mich nicht opfern wird«, sagte Kriemhild. »Er will sich das Lösegeld nicht entgehen lassen.«
    »Sagt er das?« Berenike schüttelte lächelnd den Kopf. »Dieser Prinz ist ein kleiner Junge, und er hat weniger mit den übrigen Männern seines Volkes gemein, als er selbst ahnen mag. Er besitzt eine höhere Bildung und kennt die Bedeutung des Wortes Mitleid. Nicht, daß er oft Gebrauch davon macht, aber –«
    Kriemhild unterbrach sie in aller Schärfe: »Mitleid, Berenike? Ausgerechnet du sprichst von Mitleid? Du hast das sichere Todesurteil über deine Schülerinnen gesprochen!«
    Die Hexe blieb gelassen. Ihre langen, dünnen Finger spielten beiläufig mit den Pergamentfetzen, die auf den Stierhörnern ihrer Armlehnen steckten. »Ich war nur aufrichtig, nichts sonst. Ich verriet Etzel, was es mit dem Weidenmann auf sich hat, und ich sagte ihm, daß du herkommen würdest. Mir war klar, daß er deinen Opfertod nicht zulassen würde, und er fragte mich, welche Möglichkeiten es sonst gäbe, das kommende Unheil…« Sie brach kurz ab und überlegte – »vielleicht nicht abzuwenden, aber doch abzuschwächen.«
    »Du hast damals gesagt, Gott verlange meine Unschuld, nicht mein Leben.«
    »Hätte das Schicksal seinen Lauf genommen, hättest du deine Unschuld verloren. Schon auf dem Weg hierher. Vor Scham hättest du dich nicht heim zu deinen Brüdern gewagt und wärest bei mir geblieben. Als meine Schülerin.«
    Kriemhild lachte bitter. »Wer schmiedet solche Pläne? Du, Berenike? Oder die Götter?«
    »Oh, ich nicht, ganz gewiß nicht. Ich habe nur gesehen, daß es so kommen sollte. Und die Götter scheinen derzeit andere Sorgen zu haben. Irgend etwas ist nicht so geschehen, wie es vorgesehen war.«
    »Ich sollte mich in Jodokus verlieben, um –«
    »Deine Unschuld zu verlieren, allerdings. Der Sänger hätte darüber von seinem Wahn gelassen, die Götter wären besänftigt worden, und alles wäre gut geworden.« Sie seufzte. »Aber es hat wohl nicht sein sollen. Deshalb war ein weit größeres Opfer nötig, um dem Unheil entgegenzuwirken.«
    Kriemhilds Mund war trocken geworden, sie hatte Mühe, überhaupt ein Wort über die Lippen zu bringen. »Dieses Unheil, vor dem ihr alle eine solche Angst habt, ist es das, was ich denke?«
    »Ja.«
    »Und du glaubst allen Ernstes, der Tod deiner Schülerinnen könnte es abwenden?«
    Berenike hob die Schultern. »Ihr Tod, dein Tod, wer weiß? Besser, es zu versuchen, als stillzuhalten, bis alles zu Ende ist.«
    Der Gleichmut der Hexe brachte Kriemhild fast zur Raserei. »Es zu versuchen? Großer Gott, diese Frauen werden sterben!«
    »Wie der Rest von uns, wenn nicht ein Wunder geschieht.«
    Die Erkenntnis überkam Kriemhild mit niederschmetternder Gewißheit. »Dann hat Jodokus die Wahrheit gesagt?«
    »Das kommt wohl auf den Standpunkt an. Er glaubt, daß es die Wahrheit ist, und wahrscheinlich reicht das schon aus.«
    »Das ist doch Wahnsinn!« fuhr Kriemhild auf. »Der Glaube eines einzelnen kann nicht –«
    »Was sonst als der Glaube ist es, das die alten Götter am Leben hält, Kriemhild? Der Glaube war immer ihre mächtigste Waffe, und er ist

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