Nibelungengold 02 - Das Drachenlied
Fichtenreihe, mußte er sich griesgrämig eingestehen, daß er sich verlaufen hatte. Zwar hörte er noch das Rauschen des Rheins, aber es war ihm unmöglich, die Richtung zu erkennen, aus der es an seine Ohren drang. Hatte sich der Klang des Horns bereits auf seine Wahrnehmung ausgewirkt? Machte er ihn taub für irdische Töne, damit es ihm besser gelang, die Melodie in seinem Inneren zu vernehmen?
Eisige Furcht ließ sein Herz gefrieren, und doch wagte er nicht, das Horn einfach fortzuwerfen. Es mochte ihm noch nützlich sein. Zudem: Wenn es all die Krieger auf den Felsen getragen hatten, ohne dadurch Schaden zu nehmen, warum sollte dann ihm eine Gefahr davon drohen?
Aber er war ein Zwerg, kein Mensch, und Zwerge waren von Natur aus Geschöpfe der Magie. Alberich wußte das, wußte es mit völliger Gewißheit, und doch tat er sein Möglichstes, den Gedanken daran zu verdrängen.
Mehrfach hatte er geglaubt, hinter sich in der Dunkelheit Schritte zu hören, das Splittern von Zweigen und das Rascheln gefallenen Laubes. Wölfe, dachte er zitternd, Wölfe oder Schlimmeres. Aber immer wieder waren die Laute verschwunden, und das sprach gegen wilde Tiere oder Feinde. Schließlich hatte er sich gesagt, daß es nur der Wind und seine Einbildung waren.
Jetzt aber hörte er die Geräusche erneut, und diesmal klangen sie näher. Alberich befand sich oberhalb eines dichtbewachsenen Hanges. Hier oben standen zahlreiche Fichten, hohe, mächtige Bäume, deren alte Nadeln knöchelhoch den Boden bedeckten. Sie dämpften seine Schritte, und dasselbe hätten sie auch bei jedem Verfolger tun müssen. Daraus wiederum schloß er, daß derjenige, der die Laute verursachte, sich nicht in gerader Linie hinter ihm befand, sondern weiter unten im Dickicht des Abhangs.
Wären es Drachenkrieger gewesen, hätten sie ihn zweifellos sofort angegriffen, spätestens als er unter der Eiche eingeschlafen war. Im Grunde galt das für jeden, der sich die Mühe machte, seiner Fährte zu folgen, ganz gleich ob Wegelagerer oder hungriges Tier.
Warum aber sollte ihn jemand verfolgen, ohne ihn anzugreifen? Was glaubte derjenige, wohin Alberich ihn führen würde?
Er zögerte nicht länger und fuhr herum. Die Goldgeißel klirrte kampfbereit in seiner Rechten.
»Wer ist da?« fragte er leise, fast flüsternd. Falls außer dem Verfolger auch Krieger in der Nähe waren, wollte er sie nicht auf sich aufmerksam machen.
Er bekam keine Antwort. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er ins Dickicht vordringen und den anderen aufscheuchen sollte, entschied aber dann, daß ihm dafür keine Zeit blieb. Die Gefangennahme seiner Gefährten verzögerte ihre Suche nach dem Drachen ohnehin über alle Maßen, und allmählich bezweifelte er, ob sie überhaupt je zum Ziel kommen würden.
Noch einmal zischte er grimmig: »Wer immer da unten ist, er möge herauskommen, sonst wird er meine Waffe schmecken!«
Das war nun wirklich eine erbärmliche Drohung, aber zu seinem größten Erstaunen zeigte sie Wirkung.
In der verschlungenen Finsternis der Büsche und Ranken, die den Hang bedeckten, regte sich etwas. Hinter einem Gestrüpp erschien etwas Helles, erst ein Arm, dann ein zweiter. Mit friedfertig erhobenen Händen trat schließlich eine Gestalt ins fahle Mondlicht.
Sie war von Kopf bis Fuß in schmutzigweiße Bandagen gewickelt, wie ein Toter, der sich ein letztes Mal aus seinem Steinsarg erhob. Einen Moment lang hielt Alberich das Wesen genau dafür – für einen Toten, ein Gespenst. Sein Atem stockte, und die Kugeln der Geißel klingelten verräterisch, so zittrig waren seine Hände.
Die weiße Erscheinung regte sich nicht, stand einfach nur da. Wo die Augen sein mußten, war aus der Entfernung nur ein dunkler Spalt zwischen den Verbänden zu erkennen.
Alberich sandte ein Stoßgebet zu seinen Ahnen. Vergessen war die Tatsache, daß ihm solches Flehen in den letzten Tagen nur Unglück eingehandelt hatte.
Den Drachenkriegern wäre ich kühn entgegengetreten, dachte er, aber einem Gespenst? Ausgerechnet hier, in fremden Wäldern, mitten in der Nacht? O nein, niemals!
Und während er sich noch überlegte, wie er sich am schnellsten und wirkungsvollsten aus dem Staub machen könnte, beschlich ihn plötzlich eine Ahnung. Natürlich, dachte er überrascht, er ist es!
»Du bist… der Geist«, entfuhr es ihm. Tatsächlich sah die Gestalt dem seltsamen Schemen, der im Tann rund um den Wolfswinkel spukte, täuschend ähnlich.
Das unheimliche Wesen rührte sich auch
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