Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin
hinab in den Hof und auf den brennenden Weidenmann blicken. Er und Hagen hatten die Festung über eine Sturmleiter betreten, die die Hunnen bei ihrem Angriff an der Ostmauer angelegt hatten. Bis jetzt hatte niemand es für nötig gehalten, sie zu entfernen.
»Warte hier, bis ich dich abhole«, hatte Hagen gesagt, ehe er davongeschlichen war, verdeckt vom Rauch des Scheiterhaufens.
Und so saß Jorin nun da, zitterte am ganzen Leib und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Doch immer wieder stieg die alte Furcht in ihm auf, jene Panik, die er empfunden hatte, als sie zwischen den Felsschollen des Hochwegs näher an die Burg herangeschlichen waren, durch ein Gewirr von Spalten und Rissen, manche fast zwei Schritte breit. Ein falsch gesetzter Fuß, eine vorschnelle Bewegung, und sie wären in die Tiefe gestürzt, hinab in das strudelnde Nebelmeer. Viel schlimmer aber war die Kletterpartie rund um die Burg gewesen, auf einem schmalen Sims zwischen Felsen und Mauer. Einmal war Jorin auf loses Geröll getreten und wäre abgestürzt, hätte Hagen ihn nicht im letzten Moment am Arm gepackt. Damit verdankte er dem Krieger bereits zum zweiten Mal sein Leben.
Jorin schüttelte sich bei der Erinnerung an den Weg zur Festung. Als er seine Sinne wieder beisammen hatte, erkannte er, daß unten im Hof etwas Neues vor sich ging.
Das Gitterwerk des Weidenmannes war längst zusammengestürzt. Der Priester löste seinen Blick von den Flammen, um sich den Kriegern zuzuwenden. Gerade wollte er zu weihevollen Worten ansetzen, als die Männer in Unruhe gerieten. Zwei von ihnen traten vor und zerrten eine schmale Gestalt mit sich, die aus einer Wunde am Kopf blutete.
Jodokus, Anblick grub sich wie ein Eisenstachel in Jorins Herz. Hilflos mußte der Junge mitansehen, wie der Priester ein paar kurze Worte mit den Bewachern des Sängers wechselte, dann deutete er unmißverständlich auf das Feuer in seinem Rücken.
Ungerührt verfolgte der Priester, wie die beiden Krieger Jodokus zum Scheiterhaufen zerrten. Die Flammen spiegelten sich im Blick des Hunnen, und selbst für Jorin oben auf den Zinnen sah es aus, als hätten seine Augäpfel Feuer gefangen.
Lange saßen Kriemhild und Etzel auf den Stufen des Nordturms und sagten kein Wort, versunken in sorgenvollen Gedanken. Schließlich aber gab der Prinz sich einen Ruck und stand auf.
»Ich muß zurück zu meinen Männern«, meinte er und reichte Kriemhild die Hand.
Sie beachtete die Geste nicht und erhob sich ohne seine Hilfe. Der Gestank des brennenden Weidenmannes zog durch den Turm wie durch einen Kaminschacht, sammelte sich im oberen Teil und wurde mit jedem Atemzug unerträglicher. Aber Kriemhild wußte auch, daß der Odem der brennenden Frauen sie in jeden Winkel der Festung verfolgen würde und daß es keinen Zweck hatte, davor davonzulaufen.
Sie gab Etzel ebenso wie Berenike die Schuld am Tod der Hexenschülerinnen. Aber hatte er überhaupt eine andere Wahl gehabt? Der Priester und die übrigen Krieger verlangten vom Sohn ihres Herrschers, daß er sich unerbittlich zeigte. Doch allein die Tatsache, daß Etzel dem grauenvollen Ritual nicht beigewohnt hatte, verriet deutlich, daß es mit seiner Unerbittlichkeit nicht allzuweit her war. Etzel war kaum älter als Kriemhild, und sie fragte sich, wie sie selbst an seiner Stelle gehandelt hätte. Sie gab solche Gedankengänge auf, als ihr klar wurde, daß sie sich nie, niemals in einen Hunnen würde hineindenken können.
»Gestattet mir eine Frage«, bat er, als er hinter ihr die Stufen hinabstieg.
Sie gab keine Antwort, deshalb fuhr er fort: »Seid Ihr bereits einem Bräutigam versprochen?«
Sie versuchte, ihr Lachen so kalt wie möglich klingen zu lassen. »Macht Ihr Euch Hoffnungen?«
»Oh, gewiß nicht«, sagte er schnell, »zu Hause wartet bereits eine Braut auf mich.«
»Wie ist ihr Name?«
»Helche. Sie ist die Tochter eines Fürsten und mir seit ihrer Geburt versprochen.«
»Wie rührend.«
»Nicht im geringsten. Ich habe sie noch kein einziges Mal zu Gesicht bekommen.«
Kriemhild seufzte, und für einen winzigen Moment schienen sie sich beide an einem Ort außerhalb jeder Gefahr zu befinden, wo sie nichts anderes waren als zwei Königskinder, die über Dinge sprachen, die nur für Menschen ihres Standes Bedeutung hatten. »Einst hatte mein Vater ähnliche Pläne mit mir«, sagte sie. »Doch als er starb, hob mein Bruder die alten Versprechungen auf und gewährte mir das Recht, an der Entscheidung teilzuhaben.« Sie
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