Nibelungengold 04 - Die Hexenkönigin
Jodokus auf seinem Rücken trägt, mag Wodans Dichtermet sein oder auch nicht – er jedenfalls glaubt daran. Grund genug für die Götter, die doch selbst nichts anderes sind als gestaltgewordener Glaube, sich seiner anzunehmen.«
Kriemhild spürte, daß ihre Hände zitterten. »Er sagt, daß sie mit ihm spielen.«
»Wenn er es sagt, dann ist es so.« Berenike streckte eine Hand nach Kriemhild aus und ergriff sachte ihren Unterarm. »Es ist leichter zu verstehen, als du denkst, süße Prinzessin.«
»Aber dieses … Spiel …« Sie hatte immer noch Mühe, etwas so Absurdes auszusprechen. »… dieses Spiel, das sie spielen, wie läuft es ab?«
»Wie immer auch die Regeln lauten mögen, die Partie steht kurz vor der Entscheidung. Das Spielbrett ist von einer Seite zur anderen durchquert, und diese Burg ist das Ziel.«
Eine grauenvolle Ahnung stieg in Kriemhild auf. Doch sie wollte, sie durfte nicht daran glauben, denn das würde alles nur noch schlimmer machen. Es reichte, daß die Hexe, ihre Schülerinnen und die Hunnen diesen Irrsinn wahrhaben wollten – und ihn damit wahrmachten.
»Das Spielbrett?« fragte sie ahnungsvoll.
Berenike schien erfreut, daß Kriemhild allmählich Zusammenhänge herstellte, denn sie lächelte gütig wie eine liebevolle Großmutter. »Das Pestland, Kriemhild. Was sonst ist es, als das Spielbrett der Götter? Jodokus hat es auf seiner Flucht kreuz und quer bereist, und überall, wohin er ging, brachte er den Keim der Seuche. Er selbst hat die Arena abgesteckt, in der man ihn an die Löwen verfüttern wird. Die Pest existiert nur, weil Jodokus existiert, weil sein Glaube und mit ihm seine Götter existieren. Das alles sind die Glieder einer Kette, die sich hier und jetzt zu einem Kreis schließt.«
»Dann hatten die Dorfbewohner recht.« Kriemhild spürte, daß ihre Knie nachzugeben drohten. Sie löste sich aus Berenikes Griff, stolperte zwei Schritte zurück und stützte sich auf eine Tischkante. »Jodokus ist König Pest!«
»Ein Name, nichts sonst«, meinte die Hexe. »Aber, zugegeben, ein recht treffender.«
»Du hast es gewußt!« Kriemhilds Stimme drohte erneut zu versagen. »Du hast es schon vor Jahren gewußt, als du mir prophezeit hast, hierherzukommen.«
Berenikes Mundwinkel zuckten, aber sie schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts von alldem gewußt, nicht wirklich. Ich habe bestimmte Dinge vor mir gesehen, im Traum, aber auch im Wachsein, aber ich kannte nicht die Hintergründe, nicht die Ursachen. Ich ahnte, daß es für dich nötig sein würde, hierherzukommen, und ich sah auch, daß eine Seuche der Anlaß sein würde – doch das war schon alles. Erst in den letzten Tagen habe ich begriffen, wie die Dinge tatsächlich zusammenhängen. Meine Fähigkeit ist es, in Träumen zu lesen, manchmal auch, sie zu erschaffen, aber ich weiß selten alles über ihre Bedeutung, und wenn doch, dann meist erst, wenn es zu spät ist. Kein leichtes Schicksal, glaube mir.«
»Ich verstehe nicht …«
»Komm her«, bat die Hexe und winkte Kriemhild mit gekrümmtem Zeigefinger heran. »Als ich in Worms war, da hast du mir noch von einem anderen Traum erzählt, einem Traum von Falken und Adlern. Erinnerst du dich?«
»Ich habe ihn seither wieder und wieder geträumt«, bekannte Kriemhild, konnte sich dabei aber kaum auf ihre eigenen Worte konzentrieren. »Ich ziehe einen herrlichen Falken heran. Eines Tages ist er fort. Statt seiner sitzen auf den Giebeln des Münsters zwei weiße Adler.«
Berenike nickte zufrieden. »Das war es, was du damals gesagt hast. Weißt du mittlerweile, was mit dem Falken geschehen ist?«
»Die beiden Adler haben ihn zerfleischt.«
Noch einmal nickte die Hexe. »Tritt näher, mein Kind, und ich will dir etwas zeigen.«
Kriemhild überwand ihre Scheu. Zum ersten Mal fiel ihr auf – und es war in ihrer Lage eine völlig absurde Wahrnehmung –, daß die Hexe den Duft exotischer Kräuter verströmte. Berenike hob eine Hand und schwenkte sie wie einen Fächer vor Kriemhilds Gesicht hin und her.
»Du sollst noch etwas über die beiden Adler erfahren«, flüsterte sie sanft, und im –
– selben Moment lösten sich Berenike und ihr Turm-Zimmer vor Kriemhilds Augen in Luft auf. Vor sich sah sie einen weiten blauen Himmel. Davor schwebten die beiden weißen Adler aus ihren Träumen, prachtvolle Tiere, und doch umgab sie eine Aura der Gefahr. Etwas Bedrohliches, ja Teuflisches ging von ihnen aus. Plötzlich schienen sie Kriemhild zu entdecken, denn aus ihrem
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