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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merchant
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klingelte immer, wenn sie ankam, wie ein aufgeregtes kleines Mädchen.
    Als er sich nach ihr umdrehte, versuchte er, sein glückliches Grinsen auf ein akzeptables Maß zu reduzieren.
    »Hallo«, sagte er. »Warst du gerade auf der Fähre? Hab dich gar nicht gesehen.«
    »Sorry«, sagte sie und lächelte ihn zur Begrüßung an, dass ihm ganz warm wurde. »Wartest du schon lange? Ich war noch gar nicht zu Hause. Ich habe in der Bahn Paul getroffen und mich ein bisschen verquatscht.«
    Paul? Nun erst sah er die Gestalt hinter ihr. Stachelig gegelte Haare, ein blauer Kapuzenpulli.
    »Hallo«, sagte Sven nur. Paul! Wie konnte sie ausgerechnet Paul mitbringen?
    Paul sah an ihm vorbei und verzog den Mundwinkel zu etwas, das beim besten Willen nicht als Lächeln durchgehen konnte.
    Lara bemerkte nichts, oder sie tat zumindest so. »Ich hätte gerne ein Spaghettieis beim Venezia. Habt ihr Lust?«
    »Klar«, sagte Sven. Und betete, dass Paul nach Hause fahren oder sich in Luft auflösen würde.
    »Klar«, sagte Paul. »Total.« Und er warf Sven einen Seitenblick zu, der fies war. Richtig fies.
    *
    Der Regen hatte aufgehört. Vier Stunden lang waren gleichmäßige Schauer auf das Siebengebirge niedergegangen und hatten den Tatort systematisch in ein Matschfeld verwandelt. Irgendjemandem hatte der Regen einen unschätzbaren Gefallen getan. Jemandem, dessen Fußabdrücke jetzt verwischt und dessen Spuren in den Boden gespült worden waren, einen Boden, der locker und krümelig war von verrotteten Buchenblättern.
    »Schlimmer hätte es nicht kommen können«, sagte Markus Reimann. Der Name Markus war im Dezernat inflationär verbreitet, so dass ihn jeder beim Nachnamen nannte. Er saß im Polizeibus und qualmte. Er tat es mit Konzentration und Hochgenuss, wohl deswegen, weil er es nirgends sonst mehr durfte. »Die von der KTU sind schon an der Arbeit. Ich rauch hier noch fertig, geh du ruhig schon mal vor, Jan.«
    Von der Bundesstraße war der Fußweg, der am Mennesbach entlang ins Nachtigallental führte, kaum zu sehen. Da das Tal unter Naturschutz stand, hatte man den Polizeibus auf der asphaltierten Straße abgestellt.
    Typisch, dachte Jan, dessen Mini direkt dahinter parkte. Was sollte dieser Kniefall vor dem Naturschutz? Polizeiliche Ermittlungen hatte immer Vorrang, besonders bei Mord.
    Jan Seidel war ein wenig zu spät. Das lag an der verdammten Lederjacke, die er sich am Wochenende gekauft hatte. Ein Kriminalhauptkommissar musste einfach eine Lederjacke tragen, hatte er gedacht. Und als er heute im Präsidium angekommen war und sich in den spiegelnden Scheiben gesehen hatte, war ihm aufgegangen, wie lächerlich das war.
    Er war kein Typ für Lederjacken. Seine eher schmale Gestalt, die in gut geschnittenen Jacketts adrett aussah, verschwand in der neuen Jacke. Und so hatte er auf dem Weg zum Tatort einen Umweg gemacht und sich schnell umgezogen.
    Albern, klar. Aber wenigstens fühlte er sich jetzt wieder wie er selbst. Und das war wichtig, denn noch nie war ihm bei der Arbeit so unwohl gewesen wie jetzt.
    »Auch schon da, Herr Kollege?«, fragte Elena Vogt, und wenn dies ein Vorwurf war, so verbarg sie ihn gut hinter dem scherzhaften Ton. »Komm mit, ich zeige dir den Weg.«
    Er schloss sich ihr an, obwohl er lieber allein gegangen wäre oder mit Reimann. Er hasste es, neben Elena zu gehen. Sie war einfach viel zu groß. Sie war größer als jede andere Frau, und ihn überragte sie um eine Haupteslänge. Keine Frau sollte so groß sein, vor allem nicht, wenn sie mit ihm zusammenarbeitete.
    »Ach, Jan …«
    »Ja?«
    »Wie war es denn eigentlich?«
    »Wie war was?«
    »Die Hochzeit.«
    »Gut. Danke, danke.«
    Elena grinste wissend. »Meinen Glückwunsch noch mal. Dann grüß mal deine Frau von mir.«
    »Klar.« Jan versuchte, den Schritt nicht allzu sehr zu beschleunigen. Es sollte nicht nach der Flucht aussehen, die es war.
    Elena war schon die Vierte, die fragte. Und es würden noch mehr kommen. Das hatten Hochzeiten so an sich. Jeder interessierte sich dafür, vor allem natürlich die, die ein Geschenk geschickt hatten. Und dabei gab es auf der ganzen Welt nichts, an das er weniger denken wollte als an diese Hochzeit, die nicht stattgefunden hatte. Aber wie sagte man das den Kollegen, die man erst ein knappes Jahr kannte und die für ein Fondueset aus Edelstahl zusammengelegt hatten? Unmöglich, ohne Fragen zu provozieren. Und auf Fragen hatte er verständlicherweise keine Lust.
    Zum Glück gab es die Leiche, über die

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