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Niceville

Niceville

Titel: Niceville Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Stroud
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von Natur aus kein fröhlicher Mensch. Er runzelte
missbilligend die Stirn, als er den dunkelblauen, schlank geschnittenen
Sommeranzug sah – viel
zu teuer für einen Polizisten, wahrscheinlich nimmt er Schmiergeld  –, das aufgeknöpfte Jackett – damit er schneller zu seinem Totschläger greifen kann  –, das blütenweiße, am Hals offene Hemd, das gebräunte, kantige Gesicht, das im
trüben Licht des Ladens voller Schatten war, die wachsamen grauen Augen, das
golden schimmernde Abzeichen am Gürtel, die deutliche Ausbuchtung durch den
Revolver in seinem Holster auf der rechten Hüfte.
    »Hallo. Sie sind bestimmt von der Polizei. Möchten Sie einen
Kaffee?«
    »Nein, danke«, sagte Nick mit angenehmer Baritonstimme. Er sah sich
um, überflog die Titel der Bücher, sog den Geruch von Staub, Holzpolitur und
Zigarettenrauch ein und streckte dann die Hand aus. »Ich bin Nick Kavanaugh vom CID .«
    »Ja«, sagte Alf, schüttelte ihm kurz die Hand und zog sie gleich
wieder zurück, um nachzusehen, ob der Ring am kleinen Finger noch da war. Alf
war Marxist aus Vermont und hielt nicht viel von Polizisten. »Officer Jackson
hat gesagt, Sie würden kommen.«
    »Und da bin ich. Laut Officer Jackson haben Sie Rainey Teague kurz
nach drei gesehen. Könnten Sie ihn beschreiben?«
    »Hab ich doch schon«, sagte Alf. Er sprach noch immer mit einem
harten, nasalen Vermont-Akzent, durchsetzt mit spitzen Frikativen.
    »Ich weiß«, sagte Nick mit einem entschuldigenden Lächeln, das die
Aufforderung abmildern sollte. »Aber es wäre mir eine große Hilfe.«
    Alf verdrehte die Augen und konzentrierte sich.
    »Ich seh ihn jeden Werktag. Er ist ein Trödler. Ein mageres
Bürschchen. Zu großer Kopf, blonde Haare, die ihm über die Augen hängen, blasse
Haut, Stupsnase. Die Augen groß und braun wie bei einem Eichhörnchen in einem
Zeichentrickfilm. Weißes Hemd, das ihm aus der Hose hängt, Kragen offen,
Krawatte auf Halbmast, ausgebeulte graue Hose, blauer Blazer mit diesem
Katholikenwappen, Harry-Potter-Rucksack, der an ihm hängt, als wäre er voller
Ziegelsteine. Ist er das?«
    »Das ist er. Um wie viel Uhr war das?«
    »Hab ich schon gesagt.«
    »Noch einmal, bitte.«
    Alf seufzte.
    »Fünf nach drei, vielleicht zehn nach drei. Um die Zeit seh ich ihn meistens,
dann ist die Katholikenschule aus.«
    Nick stellte sich hinter Alfs Schreibtisch und sah zur Straße. Von
hier hatte man eine ziemlich gute Aussicht auf die North Gwinnett: Menschen
gingen vorbei, der Verkehr strömte vorüber, im Nachmittagslicht blitzte Metall
auf.
    »Und Sie haben hier gesessen?«, fragte Nick und verfiel
unwillkürlich in Alfs Neuenglanddialekt.
    »Jo.«
    »Haben Sie ihn genau gesehen?«
    »Jo.«
    »War er allein?«
    »Jo.«
    »Schien er es eilig zu haben? War er aufgeregt?«
    Alfs Stirnrunzeln vertiefte sich, während er darüber nachdachte.
    »Sie meinen, als würde ihm jemand folgen?«
    »Jo«, sagte Nick.
    Alf sah ihn strafend an, und so hörte Nick damit auf.
    »Nein. Er stand eine Weile da und hat sich die Bücher angesehen.«
    »Ist er mal hereingekommen?«
    »Nein. Heutzutage interessieren Kinder sich nicht mehr für Bücher.
Die fummeln lieber an diesen Apparaten herum. Nein, er hat immer bloß ins
Schaufenster gesehen und ist dann weitergegangen zum nächsten Geschäft. Uncle
Moochies Laden.«
    »Der Pfandleiher.«
    »Ja. Jeden Tag dasselbe: Er sieht herein, winkt mir zu und geht dann
weiter, um sich den Mist in Uncle Moochies Schaufenster anzusehen.«
    »Die Kollegen haben Uncle Moochie befragt. Er sagt, er hat den
Jungen gestern und vorgestern und vorvorgestern gesehen, aber heute nicht.«
    »Moochie«, sagte Alf, als wäre das Erklärung genug.
    »Moochies Schaufenster ist voller Zeug, das ein Junge sich gern
ansieht«, sagte Nick. Alf dachte darüber nach, blinzelte und sagte nichts.
    »Haben Sie mal jemanden gesehen, der den Eindruck machte, als würde
er dem Teague-Jungen folgen? Irgendjemanden auf der Straße, der sich zu viel
für ihn interessiert hat?«
    »Einen von diesen Perversen?«
    »Ja. Einen von denen.«
    »Nein. Ich bin zur Tür gegangen und hab dem Jungen eine Weile
zugeschaut, wie er da stand und in Moochies Schaufenster starrte. Der hat immer
gute fünf Minuten da verbracht und sich das Zeug angesehen. Vielleicht sollten
Sie sich auch mal dahin stellen – wer weiß, was es da zu sehen gibt?«
    »Meinen Sie?«
    »Jo.«
    Also stellte Nick sich vor den benachbarten Laden.
    Das Geschäft, das Uncle Moochie gern als

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