Eine Schwester zum Glück
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M an hat mich gefeuert. Weil ich jedem einzelnen Mitarbeiter in unserer Firma eine Website mit Hunderten Bildern von weiblichen Brüsten gemailt habe. Sogar dem CEO und Aufsichtsratsvorsitzenden. Und den Praktikanten.
Vielleicht wollte ich meinen Job insgeheim gar nicht mehr. Manchmal sind die durchgeknallten Dinge, die ich tue, nämlich im Grunde ganz vernünftig. Und manchmal sind sie natürlich einfach nur durchgeknallt.
Ich wusste, dass die Firma gerade einen Prozess wegen sexueller Belästigung verloren hatte, der in den Medien bis ins Kleinste ausgeschlachtet worden war und bei dem es um eine Menge Geld ging. Es war klar, dass sie einem fortan absolut nichts mehr durchgehen lassen würden. Ich wusste, dass irgendwer in der Befehlskette darauf aus war, ein Exempel zu statuieren. Doch nichts von alldem kam mir in dem Moment in den Sinn. Und noch etwas vergaß ich in dem Augenblick: Ich hatte eben eine absolut einmalige Werbekampagne abgeliefert und stand nun end lich kurz vor einer Beförderung.
Zu meiner Verteidigung sei angeführt, dass es nicht so war, als hätten diese Leute noch nie eine weibliche Brust gesehen. Tatsächlich hatte es in unserer Agentur seit Monaten nur so davon gewimmelt. Wir hatten gerade eine landesweite Kampagne für einen großen BH -Hersteller abgeschlossen, und ich war dabei die Kreativdirektorin. Das gesamte Konzept war von mir – Anzeigen, die Frauen dazu aufforderten, alle möglichen verrückten Dinge mit ihrer Brust zu tun, während sie einen dieser BH s trugen.
Zum Eintauchen stand in einer Anzeige, während sich unser Push-up-tragendes Model über ein Schwimmbecken beugte und ihre Brüste ins Wasser hängte. Zum Abschlecken stand in einer anderen, während das Model sich ihren Busen mithilfe von zwei riesigen Eistüten zum Kinn hochschob. Zum Durchstarten verlangte eine dritte, während sie den Oberkörper gen Himmel krümmte. Und so ging es weiter: Zum Vernaschen, Zum Verputzen, Zum Ab waschen, Zum Abtanzen, Zum Aufreißen, Zum Anknabbern, Zum Anbeten, Zum Abheben. Ich hatte unzählige Stunden mit diesen Titten verbracht – Wochenenden, Abende – und mir den Hintern aufgerissen, um sie zum berühmtesten Dekolleté von ganz Amerika zu machen. Was sie bis Januar auch geworden waren. Keine schlechte Leistung.
Das Model für die Kampagne war neunzehn Jahre alt, zutiefst magersüchtig und hatte die gewaltigste Brustvergrößerung, die man sich nur vorstellen kann. Ich wusste noch nicht einmal, wie die junge Frau hieß. Wir nannten sie nur »die Tittenmaus«. Sie war ein mürrischer Teenager und verbrachte die Zeit zwischen den Aufnahmen damit, Ohrhörer zu tragen und Lattes zu trinken und dann Leute um Kaugummi zu bitten. Sie war ein hübsches Mädchen, obwohl man die Sommersprossen, die krumme Nase und den schielenden Blick hätte wegretuschieren müssen. Wenn wir ihr Gesicht überhaupt abgebildet hätten. Letzten Endes zoomten wir so dicht heran, dass es auf den Aufnahmen gar nicht mit drauf war. Wenn es sich um BH s drehte, wer brauchte da schon ein Gesicht?
So dachte ich früher wirklich. Ich übertreibe kein bisschen.
Wenn ich jetzt krass klinge, liegt das daran, dass ich es gewesen bin. Wenn ich unsympathisch klinge, dann trifft das wahrscheinlich auch zu. Zu dem Zeitpunkt in meinem Leben, nach sechs Jahren in der Werbebranche, war ich ein Mensch, dem das Dasein eine gehörige Tracht Prügel schuldete.
Und keine Sorge. Ich stand kurz davor, sie zu kriegen.
Ich war stolz auf die Anzeigen. Sie waren knallbunt, auffällig, frech und charmant. Alle waren ganz verzückt, und ich stolzierte wie eine Diva durchs Büro. Die Titten-Diva. Das war ich.
Doch irgendetwas stimmte nicht. Die Titten-Diva zu sein, war nicht so toll, wie ich es mir vorgestellt hatte. Man hatte mich in der Arbeit so lange nicht zu schätzen gewusst, dass es sich falsch anfühlte, als mir die Wertschät zung endlich zuteilwurde. Vielleicht hatte ich zu viel erwartet. Jahrelang hatte ich mir nun eingeredet, meine Kollegen seien Idioten. Vielleicht hatten meine ganzen Motivations-Selbstgespräche schließlich doch gefruchtet. Oder Bestätigung von außen ist immer ein wenig ent täuschend.
Die Bücher, die ich las, waren auch keine Hilfe. Ich hatte einen ganzen Stapel neben meinem Bett, der erläuterte, wie die Werbung uns alle unglücklich machte. Warum kaufte ich sie dann ständig? Das ist wie die Frage mit der Henne und dem Ei. Konnte ich meine Arbeit nicht leiden, weil ich die Bücher las? Oder
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