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Nicht ganz schlechte Menschen

Nicht ganz schlechte Menschen

Titel: Nicht ganz schlechte Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Krausser
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und blieb – Theodor Loewe eine gute, ja prächtige
Partie für das aschblonde Fräulein, eine Handwerkerstochter mit blassem Teint
und Sommersprossen. Die Eheleute hatten sich alsbald für getrennte Schlafzimmer
entschieden, nicht zuletzt, weil Hedwig oft heftig träumte und dabei um sich
schlug, während ihr Gatte regelmäßig und ohrenbetäubend schnarchte. Mehr ist
ihm nicht vorzuwerfen, schrieb Hedwig an die Mutter, wir haben soviel Freude
aneinander am Tag, daß man in der Nacht dem Glück getrost eine Pause gönnen
darf.
    Lene, das Zimmer-, und Albertina, das Kindermädchen,
besaßen noch weniger Grund, sich zu beklagen. Beide vergötterten den
geistvollen, oft witzigen Juristen. Er hatte ihnen nicht nachstellen müssen,
sie hatten sich ihm, unabhängig voneinander, nachgerade aufgedrängt – und
wurden von Theodor Loewe für ihre Sonderleistungen großzügig entlohnt. Die
beiden alleinstehenden jungen Frauen konnten die schlimmen letzten Kriegsjahre
behütet verbringen, ohne existentielle Ängste zu erdulden. Und Theodor wußte
seine außerehelichen Aktivitäten lange so geschickt zu arrangieren, daß beide,
Lene wie Albertina, sich für seine einzige Geliebte hielten. Bis eines Nachts
das Unvermeidliche geschah. Lene betrat ohne zu klopfen Theodors Schlafzimmer,
wollte sich an ihn schmiegen, draußen donnerte es, und sie tastete nach seinem
Leib, woraufhin eine schrille weibliche Stimme erst für Verwirrung, dann für
Klarheit sorgte. Theodor bemühte sich vergebens, die beteiligten Parteien an
einen Tisch, besser gesagt, in ein Bett zu bringen. Ihm blieb nichts übrig, als
die ungeraden Kalendertage Lene, die geraden Albertina zu widmen und beide
darum zu bittten, sich mit den Gegebenheiten abzufinden. Er rechnete darauf,
daß die Mädchen im Angesicht des Krieges vernünftig und kompromißbereit sein
würden. Das waren sie denn auch, eine gewisse Zeit über, aber sie blieben –
Krieg hin oder her – Frauen.
    Hedwig, die stets informiert war über die Lage,
registrierte anfangs einigermaßen amüsiert, wie ihre weiblichen Domestiken
aufeinander immer eifersüchtiger wurden, sich bald gegenseitig ins Pfefferland
wünschten – und erst als der Loewesche Haushalt unter dem Konflikt zu leiden
begann, bat sie den Gatten um einschneidende Maßnahmen zur Säuberung des, wie
sie es nannte, entstandenen Saustalls.
    Theodor Loewe erbat sich Bedenkzeit. Er liebte seine Hedwig, was
uneingeweihte Beobachter vielleicht überrrascht hätte, bedingungslos, und war
selbst alles andere als froh über die entstandene Situation. Just in jener Ära
gewaltigster politischer und gesellschaftlicher Umbrüche, als die alte Ordnung
immer hilfloser dem Chaos wich, wurde er befördert und als Richter an den obersten
preußischen Strafgerichtshof nach Leipzig berufen.
    Was bedeutete, daß er in letzter Instanz Todesurteile
bestätigen und Gnadengesuche ablehnen mußte, die eigentlich dem Kaiser zur
Prüfung hätten vorgelegt werden sollen. Dieser indes hatte weiß Gott anderes zu
tun, als sich in derart niedere Angelegenheiten einzumischen. Theodor Loewe
wuchs über sich hinaus. Er weigerte sich, Dienst nach irgendeiner
stillschweigend getroffenen Vorschrift zu leisten. Das Wesentliche an Preußen
war ja eben die Vorschrift an sich, und was nicht von Vorschriften penibel
geregelt war, besaß Zukunft, konnte so oder so interpretiert werden. Loewe tat
alles, um etliche Akten neu zirkulieren zu lassen, er verschleppte Verfahren,
überschätzte den ihm gegebenen Handlungsspielraum und rettete mit jener
Selbstüberschätzung doch mindestens fünf in minderschweren Fällen angeklagten
Mitmenschen das Leben, in einer Zeit, da zum höheren Wohl der Allgemeinheit
angeblich Exempel statuiert werden mußten. Sein Engagement trug ihm in Kollegenkreisen
einen fragwürdigen Ruf ein, als Besserwisser und Weichling, als subversives
Element, und nach nur drei Monaten der Amtsausübung wurde er im Oktober 1918,
vom Kaiser höchstpersönlich, das behauptete jedenfalls die
Verabschiedungsurkunde, zurück nach Potsdam und in den Ruhestand geschickt.
    Max und Karl, übrigens keine eineiigen Zwillinge und schon gut
voneinander zu unterscheiden, waren da gerade dreieinhalb Jahre alt und übten
sich in ersten Denkversuchen. Weil ihr Vater selten die Zeit erübrigen konnte,
sich ernsthaft mit ihnen abzugeben, pflegten sie ein um so innigeres Verhältnis
zur Mutter, doch letztlich war es Albertina, das Kindermädchen, das den
entscheidenden Grundstein für

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